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Franz Josef Degenhardt: GEHEN UNSERE TRÄUME DURCH MEIN LIED. Ausgewählte Lieder 1963–2008; 4 CDs, Koch/Universal Music

Von Felix Klopotek

Bumser Pacco« ist nicht dabei. Muß auch gar nicht. Kein Degenhardt-Lied, an das man sich spontan, ja selbst auf Nachfrage erinnern würde. »Bumser Pacco« ist schwerer Bluesrock, schleppendes Schlagzeug, verzerrte Gitarren, ein monotoner Sound, zu dem Franz Josef Degenhardts Stimme noch spitzer, fisteliger, richtig: fieser klingt als gewöhnlich. Der Song, 1980 auf dem Album »Der Wind hat sich gedreht im Lande« erschienen, erzählt von einem Terroristen der »vierten Generation« (damals konstituierte sich gerade die dritte, wir befinden uns also in der Zukunft), einem Zyniker irgendwo zwischen eiskalt und sentimental, dessen politische Agenda auf die »very big Raushole« zusammengeschnurrt ist, mediengeil ist er auch noch. Bei der spektakulären Geiselnahme kriegt er dann das (erhoffte?) Angebot der Gegenseite: »Wir geben freies Geleit in ein Land Ihrer Wahl / und eine Million Dollar pro Kopf für Sie und Ihre Leute«.

Eine vierte Generation hat es nie gegeben – eine merkwürdige Zukunftsvision, die Degenhardt da ausmalt, irgendwie unangemessen, wie der dämliche Name, der dampfende Rock (Sinn ergibt das Stück aber, wenn man sich die Legenden rund um den Söldner-Antiimperialisten Carlos vergegenwärtigt). Trotzdem muß man das Stück als wichtig werten – in zweierlei Hinsicht: Es verweist auf die Meisterschaft, mit der Degenhardt die unterschiedlichsten Songformate und Genres beherrscht, sein Gespür dafür, auf welche Art man Geschichten erzählen muß: Er war vielleicht kein großer Songwriter, aber ein begnadeter Stilist, bei dem auch alles Peinliche, in diesem Fall die fistelige Stimme, genau abgewogen ist. Und: »Bumser Pacco« verweist auf eine musikalische Zukunft, die es – leider – nicht gegeben hat. Was hätte daraus entstehen können, wenn er in den Neunzigern mit den Jungs (es waren fast nur Jungs) von der sogenannten Hamburger Schule kooperiert hätte. Degenhardt und die Goldenen Zitronen – das hätte gut gepaßt, das wäre ungemütlich geworden, eine kratzige, unausgeglichene, schlechtgelaunte, aber messerscharf präzise LP. Klingt abwegig? Nicht wenn man die Ballade von »Bumser Pacco« kennt und in KONKRET 10/1994 eine der besten Besprechungen der Goldenen Zitronen findet, Autor: Franz Josef Degenhardt.

Ja, der Chronist – Degenhardt als Chronist der alten Bundesrepublik, als Chronist der Linken, der Underdogs, der Wendehälse. Das kann man so sehen, und die jetzt erschienene, von seinem Sohn, dem Musiker Kai Degenhardt, zuverlässig zusammengestellte Werkschau – 64 Lieder aus allen Schaffensperioden (mit deutlicher Sechziger-Jahre-Schlagseite) auf vier CDs – unterstreicht diese populäre Lesart: Nochmals ziehen die Schmuddelkinder und der windige Horsti Schmandhoff an uns vorbei, blamieren sich Vatis Argumente, darf Rudi Schulte von Lenin auf dem Roten Platz träumen, geht der Sozialstaatskonsens der alten BRD in Arbeitslosigkeit und Verzweiflung unter, wird die sozialistische Haltung in die Katastrophenzeit nach Mauerfall und Wiedervereinigung gerettet. Aber daß Degenhardt am Faden der Zeit entlang geschrieben und gesungen, daß er die Themen seiner Gegenwart aufgegriffen hat – das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Der Chronist steckt nur den Rahmen ab.

Degenhardt ist vielmehr ein Typologe, ein Archäologe der Schichten unter der jeweiligen Gegenwart: Die Geschichte von »Rudi Schulte« (1971), dem 63jährigen Kommunisten und Stahlarbeiter aus dem Ruhrgebiet, ist nur vordergründig die Begleitmusik zum damals noch hoffnungsvoll angegangenen DKP-Aufbau. Degenhardt zeichnet das Bild eines ordentlichen, pflichtbewußten, regelrecht spießigen Klassenkämpfers, der aber mehr geleistet hat, mehr auf sich genommen hat, mehr lebensbedrohliche Risiken eingegangen ist, als man das von beinahe jedem Apo-Aktivisten behaupten kann. Moskautreu ist er sowieso. Sollte das damals einem DKP-Kader gut reingelaufen sein, hat er nicht richtig zugehört: Denn »Rudi Schulte« handelt auch von einem Mann, der nicht von seinen Träumen erzählen kann und kaum etwas mit den Lebensentwürfen der rebellischen jungen Leute anzufangen weiß. »Rudi Schulte« handelt auch von den Selbstblockaden der Kommunisten, dem (1971: vielleicht, wenig später: definitiv) unüberbrückbaren Graben zwischen den Resten der alten Arbeiterbewegung und den Erfahrungen von 1968.

Degenhardt spitzt nicht zu, sondern entfaltet, breitet Schicht um Schicht aus – seine Zuneigung müssen sich seine Figuren hart erarbeiten, dafür ist sie dann unverbrüchlich. Umgekehrt entsteht sein Sarkasmus nicht durch Hohn und Polemik, sondern durch dieselbe Entfaltung der Komplexität: Auch die Bösewichter seiner Songs sind erstaunlich vielschichtige Gestalten.

Es gab den Moment, da hat er das über Bord geworfen und tatsächlich agitiert – »Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf«, dekretiert er auf seiner 68er Live-LP (ebenfalls nicht in der aktuellen Werkschau). Bloß war die Agitation keine Verleugnung des feinsinnigen Bänkelsänger-Degenhardts, sondern eine weitere Gestalt, ein weiteres Genre, das Degenhardt beherrschte, wenn er wollte – und er wollte, wenn es an der Zeit war! Wer Degenhardts Lieder nur auf die Botschaften hin abklopft, übergeht die Reflexionsarbeit, die er in die »Formfrage« gesteckt hat. Sicher rührt auch daher das wache Gespür für eine Band wie die Goldenen Zitronen, die bis heute um die jeweils angemessene Form für den (Anti-)Agit-Song ringen.

Dem Vernehmen nach soll es deutschsprachige Songwriter geben, die sich wieder die Frage vorlegen, was politisierte Musik noch oder wieder sein könnte. 64 Antworten liegen auf dieser Degenhardt-Auswahl vor. Diese Diskussion ist überflüssig. Wer es als Songwriter wissen will, sollte mit dem Besteck Degenhardts fortfahren, Bohrungen zu unternehmen. Bohren muß man auch in Degenhardts Werk selbst. Die Auswahl, die seinen 80. Geburtstag feiern sollte und nun ein Nekrolog geworden ist, präsentiert, wie gesagt, den Chronisten; darin ist sie gut. Aber man muß sich in die Irrwege und Seitenarme seines OEuvres verlieren, um es auszumessen. 30 Alben in 45 Jahren, ich denke, da müssen wir Jüngeren durch. Oder hinab. Bis wir auf »Bumser Pacco« stoßen.

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