Seit Lance Armstrong seine sieben Tour-de-France-Siege aberkannt wurden, sind Vernichtungsphantasien en vogue. Martin Krauß über den Radprofi als Symbol
Viel Spaß hatte man offensichtlich im englischen Edenbridge in der Grafschaft Kent. Bei der diesjährigen Bonfire Night, einer Art Freudenfeuer, wurde Anfang November eine neun Meter große Lance-Armstrong- Puppe verbrannt. Schließlich habe der amerikanische Radprofi, dem soeben sieben Tour-de-France-Siege aberkannt wurden, Fans auf der ganzen Welt betrogen, weil er ihnen das Gefühl gegeben habe, er sei »weißer als weiß«, sagte ein Sprecher der Edenbridge Bonfire Society.
Verbrennen und andere Vernichtungsphantasien sind derzeit verbreitet. »Armstrong ausgelöscht« schreibt die italienische »Gazzetta dello Sport«, »Einen Lance Armstrong hat es nie gegeben«, die spanische »El País«. Und beim hiesigen Meinungsführer steht: »›Bild‹ meint: Im Radsport sollten noch mehr Namen ausgelöscht werden als nur der von Armstrong.« So klingen keine Kommentare über ein auf Indizien basierendes Verfahren, das ohne Geständnis und positiven Test ausgekommen ist. Hier geht es um Armstrong als Symbol.
Daß der einmal für einen Radsport stand, der »weißer als weiß« sei, glaubt ja niemand wirklich. Dopingvorwürfen war Armstrong spätestens ausgesetzt, seit er 1999 erstmals die Tour de France gewonnen hatte. Das hing mit seinen Erfolgen zusammen und mit seinem Beruf. Dem Profiradsport nämlich sagt man nach, es könne ihn keiner erfolgreich betreiben, der nicht illegale Substanzen zu sich nehme.
Wofür Armstrong aber unstrittig stand und steht, ist, daß er den Hodenkrebs bezwungen hat: Nach einer Chemotherapie kehrte er erfolgreich in den Profiradsport zurück. Der linke amerikanische Sportjournalist Dave Zirin erinnert daran, daß Armstrong sich als Agnostiker versteht und auf die Frage, ob er glaube, daß Gott ihm zu seinem Comeback verholfen habe, geantwortet hat: »Jeder sollte an etwas glauben, ich glaube an die Chirurgie, an Chemotherapie und an meine Ärzte.«
Der Hinweis könnte hilfreich sein. Armstrong hatte seine erfolgreichste Zeit nach der sogenannten Skandal-Tour-de- France 1998, die von der Festina-Affäre und zahllosen Verhaftungen von Radprofis während des Wettkampfs geprägt war. Armstrong sollte also für eine, wie es dann immer ideologieschwer heißt: saubere und natürliche Leistung stehen. Aber er hat lediglich – und das tut er bis heute – behauptet, sich an das Regelwerk, das dem früheren Krebspatienten die Einnahme von allerlei nützlichen und nutzlosen Medikamenten untersagt, gehalten zu haben.
Doch die Forderung an Radprofis lautet, sie mögen drei Wochen lang täglich etwa 200 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h fahren und dabei nichts einnehmen, was unter Mithilfe von Chemikalien oder gar der pharmazeutischen Forschung entstanden ist. Lance Armstrong aber glaubt weder an Gott noch an gottgeschaffene natürliche Körper. Er war das falsche Symbol zur falschen Zeit.