In einem veritablen »Fußballkrieg«, sollte man meinen, wird ja wohl auch scharf geschossen. Wie sonst soll man sich das vorstellen, was da jüngst aus Hamburg-Alsterdorf über das »kriminelle Fan-Lager« (Polizei) berichtet wurde, das mit dem FC St. Pauli und dem VfB Lübeck durch die Städte marodiert und bei einem Hallenturnier um den »Schweinske-Cup« »Ständer und Glasscheiben« (Polizei) zerstörte?
von Martina Krauß
Doch geschossen wurde da nicht, zumindest nur in fußballtypischer Weise, und daß die Gewalt ausschließlich von den Fans ausging, läßt sich auch nicht behaupten. Wo aber gibt’s im deutschen Sportjournalismus die Bereitschaft, mal genauer nachzuschauen, was denn dran ist an den Vorwürfen gegen »sogenannte Fans« mit »dumpfen Gesichtern« (ZDF-Kommentator Poschmann über Ausschreitungen beim DFB-Pokalspiel Borussia Dortmund gegen Dynamo Dresden im Oktober letzten Jahres)? Wo läßt sich zum Beispiel jenseits von Fanblogs und einiger weniger engagierter Medien erfahren, daß die Polizei beim »Schweinske-Cup« zunächst Naziparolen der Lübeck-Anhänger überhörte, nach deren Überfall auf den St.-Pauli-Fanblock die Halle mit Reizgas einnebelte und sich am Ende über die darauf folgende Randale wunderte? Jüngst hat das Blog publikative.org der Amadeu-Antonio-Stiftung mit sympathisch vorwurfsvollen Worten die hiesige journalistische Unfähigkeit beklagt, so etwas wie Fanrandale einmal seriös unter Anhörung aller Beteiligten plus aufmerksamem Hingucken zu beurteilen. »Liebe Kollegen«, hieß es, »es ist an der Zeit, daß Ihr wieder Euren Job macht.« Alles richtig, nur das Wörtchen »wieder« irritiert. Der Sport wird hierzulande nicht erst neuerdings nicht als soziales Phänomen wahrgenommen, er galt schon immer als unpolitisch. Und die Perspektive der Fußballjournalisten war schon immer die von Leuten, die durch einen eigenen Eingang kommen, auf besten Plätzen das Spiel verfolgen und danach bei Häppchen den Trainern lauschen. Was die Fans betrifft, hat der Journalist den Blick des Zoobesuchers: Aus großer Entfernung, hinter Zäunen oder anderen Absperrungen wird geschaut, ob die lustig anzusehenden Männchen ihre netten Liedchen singen, zum richtigen Zeitpunkt zur La Ola die Hände nach oben reißen oder ob sie sich danebenbenehmen. Fans gelten vor allem außerhalb des Stadions als Pöbel, mit dem man sich besser nicht umgibt. Diese Verachtung proletarischer Öffentlichkeit ergibt sich beinahe zwangsweise aus der Perspektive, mit der Sportjournalisten ein Spiel betrachten. Es ist die Perspektive derer, die glauben, nur das Geschehen auf dem Rasen sei wichtig. Und von dem glauben sie, es habe nichts mit der Gesellschaft zu tun und sei irgendwie vom Himmel gefallen. Was also tun? Vielleicht, dem Rat von publikative.org zum Perspektivwechsel folgen und dahin gehen, »wo es nach Pfefferspray riecht«.