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Der Quartalsirre

Florian Sendtner

Sonnenstich im Januar: CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt waltet seines Amtes.

Bundestagsdebatte im Dezember 1952, es geht um die Wiederbewaffnung, der Abgeordnete Friedrich Rische wirft ein: »Man sollte an Nürnberg denken!« – Aus den Reihen der CSU kommt der Zwischenruf: »Da ham’s vergessen, euch aufzuhängen!« Der Abgeordnete Rische ist von der KPD, mit Nürnberg meint er den Militärgerichtshof, der erst drei Jahre zuvor mit den Kriegsverbrecherprozessen fertig geworden ist. Ein Kommunist erdreistet sich, an den Krieg zu erinnern, an die Verurteilung eines winzigen Teils derer, die ihn vom Zaun gebrochen haben – schon ist einer zur Stelle, der die Geschichte auf den Kopf stellt, der aus den ersten Opfern der Nazis ihresgleichen macht, der die Gleichung Kommunisten = Nazis hinrotzt. Es ist ein 37jähriger CSU-Abgeordneter, dem die »Zeit« ein knappes Jahr später »eine starke natürliche Begabung für das politische Metier« bescheinigt. Sein Name: Franz Josef Strauß. Er ist der erste Generalsekretär seiner Partei. Die Stellenbeschreibung des CSU-Generalsekretärs sieht vor: es so krachen lassen, daß der schwarzbraune Stammtisch johlt, den verbalen Dreschflegel so einsetzen, daß der reaktionäre Mob zu schunkeln beginnt. Das haben die meisten Nachfolger von Strauß mehr oder weniger mit Bravour zuwege gebracht; nicht wenige CSU-Generalsekretäre endeten in höchsten Staatsämtern (Friedrich Zimmermann, Max Streibl, Edmund Stoiber). Die einen punktetenmit ihrer langen Amtszeit als Generalsekretär (Zimmermann: 1955–1963), andere machten ein kurzes Gastspiel von drei Monaten durch eine um so umfangreichere und fundiertere Dissertation wett und fanden sich anschließend als Bundesminister wieder (Guttenberg). Der siebzehnte Generalsekretär der CSU amtiert seit Februar 2009, seit der Demission Guttenbergs, und noch kennt nicht alle Welt seinen Namen – höchste Zeit, das zu ändern! Also marschierte Alexander Dobrindt am 29. Januar bei Günther Jauch ein und beantwortete die Frage, ob es rechtens sei, daß ein Teil der Abgeordneten der Linkspartei vom Verfassungsschutz beobachtet wird, dahingehend, daß das noch viel zu wenig sei: Alle gehörten beobachtet und die Partei letztlich verboten. Und als ob das Millionenpublikum, das ihm dabei zuhörte, noch nicht ausreichte, sagte er es anderntags in der Früh vor der Münchner Parteizentrale nochmal zum Mitschreiben in die Kamera: »Ich bin der Überzeugung, daß wir es bei der Linkspartei mit einer Partei zu tun haben, die ein schwer gestörtes Verhältnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat, und ich glaube, wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, daß wir mittelfristig auch zu einem Verbotsverfahren kommen.«Der spontanen Reaktion von Linken-Chef Klaus Ernst – »Dobrindt ist ein politischer Quartalsirrer!« – ist entgegenzuhalten, daß der Generalsekretär das gleiche Ansinnen bereits vier Wochen zuvor vorgebracht hatte, damals ohne nennenswerte Resonanz; Dobrindts Anfälle kommen nicht im Vierteljahrestakt, er hat eine höhere Frequenz. Die übrigen CSU-Granden schienen denn auch peinlich berührt: Innenminister Hans-Peter Friedrich winkte ab, die Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, ließ sich gar zu einer Gegendarstellung hinreißen: »Ein Verbotsverfahren bei den Linken sehe ich derzeit nicht.« Und selbst die politische Konkurrenz hielt sich nicht vornehm zurück; Grünen-Chefin Claudia Roth ließ sich in der »SZ« mit dem Prädikat »bescheuert« zitieren, der SPD-Vorsitzende von Schleswig- Holstein, Ralf Stegner, diagnostizierte das Dobrindt-Syndrom kurz und schmerzlos: »Ungewöhnlich: Sonnenstich im Januar.«Egal in welchen Intervallen oder zu welchen Jahreszeiten es Alexander Dobrindt überkommt, ein flüchtiger Blick auf seine Internetseite zeigt: Es ist kein Wunder. Der Mann ist praktisch pausenlos entweder von Tarnanzugwichten umgeben, deren Kaserne, im Wahlkreis Dobrindts gelegen, von der Schließung bedroht ist, oder aber er ist gleich von einer kompaniestarken Trachtentruppe umzingelt. Zwischendurch darf er auf der »18. Oberlandausstellung in Weilheim« – was auch immer das sein mag – »auf dem Weg zum Festzelt einen Blick auf die herrlichen Kuchen werfen, die von den Landfrauen später in der Halle H angeboten wurden. « Man sieht Dobrindt eingekeilt zwischen zwei Landhausdirndlklonen tapfer in die Kamera lächeln: »Dort wagte sich der Bundestagsabgeordnete in Begleitung der bayerischen Milchprinzessin, Anna Weidinger, auch auf den Barfußpfad.« Und da soll einer nicht auch noch den kläglichen Rest seines Verstands verlieren? Und sich nicht wenigstens ab und zu mal weit außerhalb der »demokratischen Grundordnung « austoben? Nein, im Ernst: Die CSU ist auf dem absteigenden Ast, sie hat die absolute Mehrheit verloren und wird sie 2013 kaum wiedergewinnen. Die Partei steht mit dem Rücken zur Wand: Der von ihr über den Schellnkönig gelobte Verfassungsschutz hat die Nazis so gut observiert, daß er eine jahrelange Mordserie glatt nicht mitkriegte. Fünf der zehn Morde, die auf das Konto der Zwickauer Killernazis gehen, geschahen in Bayern, drei in Nürnberg, zwei in München, fünf Personen, regelrecht hingerichtet am helllichten Tag, mitten in der Großstadt, und die bayerischen Behörden haben alles verschlafen. Seit 1980, seit dem Oktoberfestattentat, war es nicht mehr so offensichtlich: Die Gefahr kommt von rechts, und der Staat mag sich nicht dazu entschließen, etwas gegen die Mörder zu unternehmen. Insofern sind die Ausfälle des Alexander Dobrindt gut zu verstehen: Angriff ist die beste Verteidigung! Vielleicht bleibt ja doch was hängen, wenn man angesichts erschossener Naziopfer die alte Keule aus der Kiste kramt: rechtsextrem = linksextrem! Wenn man selber aus dem letzten Loch pfeift, ist die Verwirrung der Geister allemal ein probates Rezept. Rein zufällig berichtete die »Süddeutsche«wenige Tage nach Dobrindts Verzweiflungstat von zwei Fällen, bei denen die CSU wieder mal mit einem Bein im braunen Morast steht: Das Münchner CSU-Mitglied Detlev Baasch hält bei einem Treffen des NPD-Kreisverbands einen Vortrag und denkt sich nichts Böses dabei. Und der Landkreis Aichach-Friedberg möchte nicht davon Abstand nehmen, in seinem Jahrbuch Altbayern in Schwaben den glühenden Antisemiten Otto Dickel als Humanisten und Widerstandskämpfer zu würdigen. Klar doch, Dickel war Parteigenosse der ersten Stunde und legte sich 1921 derart mit Hitler an, daß dieser kurzzeitig die NSDAP verließ – diese grandiose Widerstandshandlung verlangt geradezu danach, vom Aichacher CSU-Landrat Christian Knauer verherrlicht zu werden. Da fallen die beiden Münchner CSUler nicht mehr groß ins Gewicht, die das Horst-Wessel-Lied anstimmten. Immerhin wurden sie ihrer Ämter enthoben, das ist schon was.

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