Lars Brinkmann
In den Kulissen mit den Firmenhymnenhändlern – statt eines Interviews mit Thomas Ebermann, neuerdings Theaterregisseur, und dem Schauspieler Robert Stadlober. KONKRET verlost 2 x 2 Karten für die Premiere am 9. März. E-Mail mit Name, Anschrift und Stichwort »Firmenhymnenhandel« bis zum 5. März an redaktion@konkret-magazin.de. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt.
Everyone gets everything he wants. I wanted a mission, and for my sins, they gave me one. Brought it up to me like room service. It was a real choice mission, and when it was over, I’d never want another.
Captain Benjamin L. Willard in »Apocalypse Now«
Der Ort wäre schon seine eigene Geschichte wert. Dies ist nicht Vietnam, dennoch liegt die Politik auch hier wie Tretminen auf der Straße. Mitten in der Stadt, aber auf der »falschen Seite der Alster« ist Kampnagel mehr als ein Theater. Das ehemalige Fabrikgelände hat sich im Laufe von drei Jahrzehnten allen Widerständen zum Trotz zu einem Kulturort mit lebendigen Ecken und Winkeln entwickelt, zu Deutschlands größter freier Spiel- und Produktionsstätte. Auf insgesamt sechs Bühnen ist von Vorträgen über Konzerte bis zum Tanztheater auch vieles zu sehen, was sonst in Hamburg nicht zu sehen wäre: brennende Aktionskünstler, norwegische Black-Metal-Avantgardisten, Orchester-Karaoke oder, wie jetzt im März, »Der Firmenhymnenhandel«, das erste Theaterstück von Thomas Ebermann.
Theater ist doch scheiße, sag ich noch zur Redakteurin. Gehört gleich nach der Pantomime abgeschafft. Aber das stachelt sie nur noch mehr an: Das könne ich ja dem Thomas dann gleich so sagen. Theater ist doch scheiße. Mal sehen, wie er das findet. Da hatte ich nun meine Mission: Triff auf Kampnagel Thomas Ebermann in Begleitung seines Hauptdarstellers, dem »Firmenhymnenhändler« Robert Stadlober, und sag: Theater ist doch scheiße.
Klar, ein Kind des Punk kennt weder Helden noch Heilige – ich lasse höchstens Johnny Rotten einen guten Mann sein. Aber Thomas Ebermann? Der Mann war mal der Grund, daß ich, gerade wahlberechtigt, die Grünen gewählt habe. Längst freiwillig ausgeschieden, bleibt er der eine von zwei (ehemaligen) Berufspolitikern, die mein Vertrauen nie enttäuscht haben. Und so jemand macht jetzt wie die Goldenen Zitronen und Rocko Schamoni Theater. Apropos, die Firmenhymnen, die auf der Bühne eingespielt werden, singen keine Geringeren als Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun von den Zitronen sowie Bernadette La Hengst, Dirk von Lowtzow, Melissa Logan, Nina Petri, Jens Rachut, 1000 Robota, Harry Rowohlt, Kristof Schreuf, Horst Tomayer und viele mehr. Die musikalische Leitung haben Ted Gaier und Thomas Wenzel von, der geneigte Leser ahnt es bereits, den Goldenen Zitronen.
Milli, die Regieassistentin holt mich aus dem Café, genannt Casino, ab und bringt mich auf leicht verschlungenen Wegen in einen großen, grauen, überwiegend leeren Raum. In der vordersten Ecke haben sich die Schauspieler Pheline Roggan, Rainer Schmitt, Robert Stadlober und Tillbert Strahl-Schäfer zusammen mit Thomas Ebermann um einen Tisch versammelt. Gestern haben sie sich erstmals getroffen, heute wird weiter der Text geprobt, in fünf Wochen stehen sie mit dem Stück auf der Bühne. Es ist kalt und etwas klamm. Eine große Schüssel dient als Aschenbecher, es gibt keine Heißgetränke. Zumindest wird mir keins angeboten. Theater ist doch scheiße.
»Ich habe eigentlich keine Lust auf irgendeine Ableitung«, stellt Ebermann fest. »Du weißt ja, wenn man sich gebildet rausreden wollte, dann könnte man jetzt auf die ästhetischen Theorien von Adorno verweisen, und dazu könnte ich auch eine Brücke bauen, die richtig wäre, mutmaßlich, aber tatsächlich ist es so, daß ich auch ganz naiv, mit großen Augen dem Können der Schauspieler folge. Was die an Variationsmöglichkeiten haben, das ist mir ja nicht gegeben. Das ist, als wenn du auf einen besonders guten Musiker triffst – man schwärmt ja meistens von dem, was man nicht kann. Und das wird in den nächsten fünf Probewochen so sein.«
In der Tat. Vor dem Interview, das, wie sich später herausstellt, kein Interview sondern nur ein Arbeitsgespräch sein soll, liest das Ensemble nur für mich noch mal ein paar (besonders schöne) Szenen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich an bestimmten Stellen lachen darf. Die sind zweifellos komisch gemeint, aber ist das bei einer Textprobe angemessen? Bestimmt nicht. Wenig hilfreich sind auf jeden Fall die Handwerker, die in einem nicht enden wollenden Akt bei offener Tür und nicht eben leise ein paar Bündel Rohre, Werkzeug und Requisiten hinaustragen. »ICH KANN SO NICHT ARBEITEN!« schreit es in mir. Aber die Herrn und die Dame Theaterschauspieler lassen sich nichts anmerken, ziehen höchstens den Schal noch etwas fester um den Hals. Stoisch pflügen sie durch ihren Text, unterstreichen manche ihrer Worte mit knappen Gesten und lassen sich nur von ihrer Rolle aus der Ruhe bringen. Obwohl das alles noch sehr »low profile« ist, schließlich will »das Ganze« noch erarbeitet werden, macht sich schon der gewaltige Unterschied bemerkbar. Ich habe das komplette Textbuch bereits gelesen, aber erst hier entsteht so etwas wie ein, Ebermann nennt es: Zauber.
Dank der »szenischen Lesungen«, die er im Hamburger Polittbüro im Rahmen seiner Vers- und Kaderschmiede veranstaltet hat, ist der Schritt ins Theater sehr klein. Das wären eigentlich auch schon Theaterstücke gewesen, nur daß die Akteure noch das Textbuch in der Hand gehalten haben. Er winkt ab, alles kein großes Ding. Und Robert Stadlober kann ich erst recht nicht erschüttern. Selbst kein großer Theatergänger, findet er selten Inszenierungen, die ihm gefallen, aber: »Was Theater eben schon noch hat, ist eine andere Art, sich mit dem Text zu beschäftigen – gerade wenn man selbst eine Textaffinität hat. Das öffnet für mich quasi neue geistige Fenster, einen Text zu sehen. Ich kann mich beim Theater anders auf einen Text einlassen, das gefällt mir.«
Die Rolle des Firmenhymnenhändlers ist ihm nicht direkt auf den Leib geschneidert, aber das opportune Wesen steht im fruchtbaren Gegensatz zum Rollenklischee vom Salonpunk. Als Musiker der Band Gary braucht er zumindest keine zusätzlichen Lektionen, was die Sorgen von Künstlern zwischen Verwertungslogik, Urheberrechtsdebatten und 360-Grad-Verträgen betrifft. Das ganze Elend und sein Wurmfortsatz werden zu mehr als einem Subtext.
Ebermann hat seine Geschichte auf einer dieser Bahnfahrten gefunden, die so lange dauern, daß man seine Zeitung bis zur letzten Seite liest. Wie schon der Titel preisgibt, geht es im Stück um die Hymnen, die laut »Süddeutscher Zeitung« »die Lust an der Arbeit fördern und für eine Identifikation mit der Firma sorgen können«. Da muß etwa die Belegschaft singen: »Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin. Kein Sturm hält uns auf, unsere Air Berlin. Die Nase im Wind, den Kunden im Sinn und ein Lächeln stets mit drin.« Oder bei Edeka: »Einkaufen mit Seele, mit Herz und Tradition. Wir arbeiten mit Leidenschaft an noch mehr Perfektion.«Das provoziert natürlich viele lustige und weniger lustige Fragen über das Verhältnis zwischen »der Arbeit und der ihr ähnlichen Erholung«. Neben Adorno und etwas Marcuse hagelt es im »Firmenhymnenhandel« Zitate aus Selbsthilfebänden für Führungskräfte, Ratgebern für Manager, Sofortanleitungen für Karrieristen. Besonders viel Raum nimmt die Biographie des ruchlosen Trigema-Chefs Wolfgang Grupp ein. Es steht zu befürchten, daß nicht jede der feinsinnigen Anspielungen und Zitate als solche erkannt werden können. Allein die Vorstellung ist gespenstisch. Wer liest schon freiwillig so einen Quatsch?
»Thomas! Sag, daß du das nicht freiwillig gemacht hast!«
»Na ja, es mußte ja ein Weg gefunden werden, dramaturgisch.«
Den hat er gefunden. An einer besonders schönen Stelle entspinnt sich zwischen Robert, dem Firmenhymnenhändler, Texter und Verkäufer in einer Person, und dem Komponisten der Hymnen, vorbildlich schlecht gelaunt vorgelesen von Tillbert Strahl-Schäfer, ein feiner Dialog über den Sinn ihres Tuns und den Sinn von Kunst und Kultur.
Robert: Für jede Großstadt ist Kultur ein wichtiger Standortfaktor. Kultur lockt Leistungsträger an; Kulturangebot beeinflußt, wo investiert wird; Kultur hilft bei gesunder Balance von Berufsleben und Freizeit. Das schreibt jede Kulturbehörde in ihre Förderrichtlinien. Verstehst du?
Tillbert: So spricht der Verwaltungsbeamte.
Robert: Er spricht aus, wie es ist. Der Spinner ist der Künstler, der glaubt, das unterlaufen zu können. Subversiv unterlaufene Staatsförderung. Kunst, die dem Besucher am nächsten Tag den Weg zur Arbeit verunmöglicht …!
(Robert lacht, Tillbert muß mitlachen.)
Das hat mir schon beim Lesen des Textbuches so gut gefallen, daß ich es mir zwischen meinen Interviewfragen notiert habe, noch unsicher, was ich später damit anfangen soll. Aber der Zufall will es, daß wir auf Theaterpunks und die »Verjägermeisterisierung« der Kultur kommen, auf Sponsoring vs. Förderung, so wird die »subversiv unterlaufene Staatsförderung« doch noch mal zum Thema. »Unsere Förderung ist zu gering, als daß es sich lohnen würde«, sagt Robert plötzlich. »Es nicht so, daß wir von einer Subkultur zu einer Hochkultur aufgestiegen wären, um Geld zu verdienen – das mag bei anderen so sein, aber da sind wir noch nicht angekommen. Auf unserem Level ist das eher Ausbeutung, Selbstausbeutung ...«
Thomas: »Ja.«
Robert: »... Selbstverwirklichung.«
Thomas: »Ja!«
Theater ist also doch scheiße – aber nicht zwangsläufig. Als wir zusammengepfercht in meinem Kleinwagen in die Schanze fahren, fühle ich mich schon etwas wie ihr Best Boy. Vielleicht gehe ich sogar zur Premiere, mit etwas Glück bekommt man dort ein T-Shirt mit dem schönen Adorno-Zitat »Fun is Stahlbad«.
»Der Firmenhymnenhandel« wird am 9. März auf Kampnagel uraufgeführt. Weitere Aufführungen am 10. und 14. bis 17. März, jeweils 20 Uhr (www.kampnagel.de).
KONKRET verlost 2 x 2 Karten für die Premiere am 9. März. E-Mail mit Name, Anschrift und Stichwort »Firmenhymnenhandel« bis zum 5. März an redaktion@konkret-magazin.de. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt.
Lars Brinkmann schrieb in KONKRET 1/12 über die Compilation »New Black. Couper Decaler électronique«