von Eberhard Rondholz
Deutschland muß die Opfer seiner Kriegsverbrechen nicht entschädigen.
"Die Endlösung der sogenannten Kriegsverbrecherfrage« – so geschmackvoll umschrieb einst ein deutscher Diplomat eines der Hauptziele der deutschen Nachkriegsdiplomatie in Griechenland. Gemeint war nachhaltiger Täterschutz für all die deutschen Wehrmachtsangehörigen, die zahllose Massaker im Land begangen hatten. Erreicht wurde dieses Ziel schon bald nach Kriegsende, vor allem auf dem Weg der wirtschaftlichen Erpressung. Weniger glatt ging’s mit dem zweiten wichtigen Ziel: Entschädigungsforderungen der »einstigen Gegner«, so ein anderes Diplomatenpapier, »durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen«. Auf die Nachgiebigkeit aller griechischen Nachkriegsregierungen konnte dabei gezählt werden. Aber nicht auf die der Opfer, zum Beispiel der Überlebenden von Distomo. Dieses Problem wurde erst jetzt, 67 Jahre nach Kriegsende, juristisch endgültig gelöst: durch den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Dort hatte die BRD den letzten Akt des Feldzugs gegen die Opfer eingeleitet, formell mit einer Klage gegen Italien wegen Verletzung der sogenannten Staatenimmunität, begangen durch den Corte di Cassazione in Rom, der NS-Opfern italienischer und griechischer Nationalität das Recht auf Entschädigung zugesprochen hatte (siehe KONKRET 9/11). Am 3. Februar war Urteilsverkündung, es war ein Sieg für die BRD.
Ein Sieg war’s auch für den Anwalt der Bundesregierung, Professor Christian Tomuschat, der sich schon im Kampf gegen die Entschädigungsansprüche überlebender italienischer Zwangsarbeiter bewährt hatte. In seinem Plädoyer im September 2011 hatte er die Horrorvision einer nicht einzudämmenden Prozeßflut von Kriegsverbrechensopfern ausgemalt, eine Bedrohung des internationalen Rechtsfriedens. Und er hatte jenes »tu quoque«-Argument aus der braunen Mottenkiste gezogen, mit dem schon NS-General Wilhelm Speidel nach dem Massaker von Kalavryta im Dezember 1943 den griechischen Kollaborationspremier Ioannis Rallis abgefertigt und sich später als Angeklagter in Nürnberg verteidigt hatte: Es wäre schließlich auch den Deutschen im Kriege schweres Leid zugefügt worden, zum Beispiel mit der Bombardierung von Dresden. An Dresden sowie an die Verluste, die seine eigene Familie im Krieg erlitten habe, erinnerte Tomuschat nun auch in Den Haag. Will sagen: Tit for tat, wir sind quitt.
Darauf ging IGH-Präsident Hisashi Owada bei der Urteilsverkündung nicht ein – auf das Glatteis einer Diskussion der Kriegsschuldfrage wollte er sich als Japaner denn doch nicht begeben. Um so lieber berief er sich auf Rechtsauffassungen wie die des ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten Konstantinos Simitis, der die Opfer von Distomo um ihre beim Areopag erstrittene Entschädigung gebracht hatte. Auch die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs kam zur Sprache: Der hatte den Kläger Argyris Sfountouris wissen lassen, daß es sich bei Operationen der deutschen Streitkräfte wie dem Massaker von Distomo um einen typischen Ausdruck staatlicher Souveränität handle, begangen in Ausübung hoheitlicher Befugnisse, womit ein Rechtsanspruch auf Schadensersatz entfalle. Nun werden auch in Zukunft die zivilen Opfer auch schwerster Kriegsverbrechen mit ihrem Schadensersatzwunsch auf den außergerichtlichen Gnadenweg verwiesen und dort in der Regel leer ausgehen, wie die Leute von Distomo. Der Rechtsfrieden ist gesichert, die Staatskasse auch. Dem IGH sei Dank.