Bei Otto Ernst, dem kaiserlichen Weltkriegspoeten, war es die Liebe, die nimmer aufhöret. Was mag es bei den Poeten, die heute die Zeilen füllen, sein, das sie nicht aufhören läßt? Bei diesem hier, zum jüngsten Exempel?
Sehr geehrter Herr Gremliza,
hier kommt eine kleine, aber leider auch eilige Anfrage aus der Redaktion der »Zeit«: Hätten Sie Lust, uns bis morgen ein kleines Statement zur Frage »Was sind uns die Griechen wert?« zu schreiben? Angefragt ist ein recht weites Spektrum von Prominenten und Experten, von Bischof Marx über Peter Bofinger bis zu Dunja Hayali und Joschka Fischer. Es geht nur um einen ganz kleinen Text, unter 100 Anschlägen. Den würden wir aber bis spätestens 15 Uhr benötigen (lieber früher). Geben Sie mir kurz Bescheid, bittet
mit freundlichen Grüßen
Frank Drieschner
»Hätten Sie Lust, uns bis morgen ein kleines Statement zur Frage ›Was sind uns die Griechen wert?‹ zu schreiben?« Das sind 110 Anschläge, aus denen, um den Anforderungen der Redaktion zu genügen, die Griechen herausgekürzt werden müßten. Gremlizas Antwort wurde undruckbare 488 Zeichen lang:
Sehr geehrter Herr Drieschner,
womit habe ich mir bei Ihnen und Ihrer Redaktion den Verdacht zugezogen, es gebe ein verbindendes »uns« oder »wir« zwischen mir und Ihnen und dem deutschen Minister a.D., der daran mitgewirkt hat, daß zum dritten Mal in hundert Jahren deutsche Bomben auf Belgrad niedergingen? Irgendeine Ahnung, wer ich bin und was ich treibe, müssen Sie doch gehabt haben, als Sie mich in Ihr »Spektrum von Prominenten und Experten« berufen haben. Oder ist auf dem Weg ihres Blattes zur Yellow Press eh alles scheißegal?
Mit freundlichen Grüßen
Hermann L. Gremliza
Die Wasauchimmer aber höret wirklich nimmer auf:
Sehr geehrter Herr Gremliza,
ich gebe zu, Ihre Wiederaufbereitung von Theo Sommers Leitartikeln ist für mich inzwischen bloß noch eine Jugenderinnerung. Das, was Sie Verdacht nennen, war die Annahme, es würde Ihnen Spaß machen, sich an einer öffentlichen Debatte zu einer kontroversen Frage zu beteiligen, mit ungefähr dem Temperament Ihrer privaten Antwort an mich.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Drieschner
Otto Ernst übrigens hieß bürgerlich Otto Ernst Schmidt und sein populärstes Theaterstück »Flachsmann als Erzieher«. Er hielt sich für »hoffnungslos unmodern, weil ich zu Gutem und Bösem nicht schweige und stillhalte, sondern kämpfe«. Die damals aktuelle Frage: Was sind uns die Franzosen wert?, konnte er in sechs Prozent von hundert Anschlägen beantworten: nichts.
In der Wochenzeitung »Freitag« schreibt Ulrike Baureithel auf einer Seite, die den Ereignissen des Jahres 2011 gewidmet ist:
Sex sells. Auf dem Höhepunkt der Mißbrauchsdebatte mischte sich der Sexualforscher Volkmar Sigusch mit provokanten Thesen im »Freitag« ein. Wer tiefer in die Auseinandersetzung um Pädophilie eindringen will, sollte sich das kleine Bändchen Sex tells, das Sigusch zusammen mit seinen ehemaligen Kombattanten Günter Amendt und Gunter Schmidt herausgegeben hat, nicht entgehen lassen. Dort finden sich einige Schlüsseltexte aus dem vor 30 Jahren von Hermann L. Gremliza angestoßenen Periodikum »Sexualität KONKRET«, die, in Spannung gebracht mit einigen neueren Texten, nicht nur ein aufklärendes Licht auf die gegenwärtige Mißbrauchsdiskussion werfen, sondern auch auf das öffentliche Dauerpalaver über Sexualität, das Dylan-Fan Günter Amendt mit dessen Worten erklärt: »Mass communication killed it all. Oversimplification.«
Der Band Sex tells. Sexualforschung als Gesellschaftskritik von Günter Amendt, Gunter Schmidt und Volkmar Sigusch, mit Bildern von Christoph Krämer, ist in der Reihe konkret texte erschienen (144 Seiten, Sonderformat, 18 Euro). Volkmar Sigusch, vormals zusammen mit Gremliza Herausgeber von »Sexualität KONKRET«, hat etwa zur selben Zeit bei Campus das Buch Auf der Suche nach der sexuellen Freiheit. Über Sexualforschung und Politik veröffentlicht.
Das »sehr gemischte Doppel« Horst Tomayer/Hermann L. Gremliza geht wieder auf Lesetour. Termin- und Buchungsanfragen bitte an den Verlag.