Kulturpessimistisch klang Anfang Juli die Meldung, daß der Jugend »Hitler oder Honecker … egal« (»Spiegel Online«) und die Gestapo »voll normal« (»Zeit«) seien. Anlaß war die Veröffentlichung der Studie Später Sieg der Diktaturen. Ihr zufolge fehlt es deutschen Schülern an zeithistorischem Bewußtsein und, jawoll: Demokratiekompetenz. Und tatsächlich können nur wenige Schüler die Trennlinie zwischen »Diktatur« und »Demokratie« so eindeutig ziehen wie die Studienersteller.
Daß über die Hälfte aller Schüler kein »positives« Bild der Bundesrepublik vor 1990 besitzt, ist für die Autoren um Klaus Schroeder ein »erschreckendes« Resultat; für unerträglich halten sie, daß nur wenige Schüler beim Schlagwort DDR auch an »Diktatur« denken. Prüfen wollte der »Forschungsverbund SED-Staat« in erster Linie, ob das seit seiner Gründung 1992 betriebene Programm, die Totalitarismusdoktrin als ideologisches Fundament der Bundesrepublik zu etablieren, auch bei den Jüngeren gewirkt hat.
So politisch die Doktrin, so abstrakt die Kriterien des Etiketts »Diktatur«: NS und DDR hätten beide das gesamte Leben der Menschen bestimmen wollen, und es wird klar, was mitgedacht werden soll: Schuld waren erst die Nazis, dann die Kommunisten. Rot gleich Braun, Hitler gleich Honecker, Führerstaat gleich Ein-Parteien-Staat. Die Mörder zwar sind stets nur wenige, die Deutschen aber immer Opfer.
»Auf solche Vorwürfe reagiere ich allergisch«, sagte Schroeder im Interview mit der »Zeit«. Und doch bleibt der Vorwurf berechtigt. Nach ihrem Selbstverständnis halten die Autoren »die Aufarbeitung der ›zweiten deutschen Diktatur‹« für unerläßlich. Zwar verwenden sie dann und wann das Schlagwort von der Singularität des Nationalsozialismus, vergessen aber dabei selten, dessen Gemeinsamkeiten mit der DDR zu erwähnen.
»Anders als bei der Bewertung des Nationalsozialismus wird der SED-Staat nicht als System insgesamt eingeschätzt, sondern seine verschiedenen Dimensionen werden getrennt bewertet.« Schroeder merkt dies in seiner Auswertung als Vorwurf an, denn jede Facette des DDR-Alltags soll nur als Teil des Systems »SED-Diktatur« gesehen werden. Wild wird die Argumentation, wo die SED-Forscher argwöhnen, Kinder aus den »neuen Bundesländern« würden eine andauernde Auseinandersetzung mit dem NS fordern, um die SED-Herrschaft in besseres Licht zu rücken. Die Forscher haben deshalb in einer Vorstudie gefordert, es müsse durch »direkte Anordnungen von Ministerien« unterbunden werden, daß die »in der DDR erworbenen mentalen Prägungen« per Familie weitergegeben werden.
Die Forderung nach staatlichem Eingriff in die Geschichtsdidaktik erstaunt: Daß in NS und DDR versucht wurde, Einfluß auf die Erziehung von Kindern zu nehmen, ist schließlich ein Hauptkritikpunkt der SED-Forscher. Nun fordern sie genau dies: Reeducation im Geschichtsunterricht.