Wie Männer (nicht) über Missbrauch reden.
Von Veronika Kracher
In der mit »Jein heißt Jein« betitelten Folge seines »Neo Magazin Royale« verkündete Jan Böhmermann Ende August: »Ich halte zu Gina-Lisa, ob sie will oder nicht.« Auf den Hinweis, dass solche Witze, unabhängig vom Ausgang des Falls, vor allem widerlich seien, erwiderte der Liebling deutscher Lehrerkinder, dass ohnehin niemand Vergewaltigungen gut finde – und seinen Kalauern deshalb immer die Legitimation der Ironie innewohne.
Ach, Böhmermann. Natürlich findet niemand Vergewaltigung gut. Wie die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal in ihrem Buch Vergewaltigung treffend beschreibt, lehnen wir aber »nicht unbedingt dasselbe ab, wenn wir Vergewaltigung ablehnen«. Vergewaltiger sind nun einmal immer die anderen, am liebsten, wenn sie Migrationshintergrund haben.
So beispielsweise im Falle einer 14jährigen aus Hamburg: Vier Jugendliche zwischen 14 und 21 machten sie Anfang des Jahres betrunken und missbrauchten sie vor laufender Handykamera. Anschließend ließen sie das Mädchen nur mit einer Bluse und Unterwäsche bekleidet bei niedrigen Temperaturen auf einer Matratze im Innenhof der Wohnsiedlung liegen.
Bei der Gerichtsverhandlung traten die Typen in Siegerpose auf, locker-lässige Machos mit verlegenem Grinsen, deren Umfeld ihnen attestierte: »Das können doch keine Vergewaltiger sein. Das sind doch Kinder!« »Das war keine Vergewaltigung, das war ’ne Party«, sagte ein Angehöriger eines Verdächtigen. Es ist einfacher, eine 14jährige dafür verantwortlich zu machen, missbraucht worden zu sein, als sich einzugestehen, dass der eigene Sohn oder Bruder ein Vergewaltiger sein könnte. Die Freundin eines der Jugendlichen wusste auch: »Sie hätte nicht mit den Männern mitgehen sollen.« Wenn eine Frau sich betrinkt, sollte sie schließlich wissen, dass das im Missbrauch enden kann.
Dies ist nur ein aktuelles Beispiel für eine toxische, durch und durch misogyne gesellschaftliche Struktur, die inzwischen unter dem Namen Rape Culture zusammengefasst wird. Dass Männer einer Frau das Nein absprechen können, weil sie es ja gar nicht so meine, ist tief im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert. So beschreibt Sanyal, dass der Frau seit Jahrhunderten kein eigenständiges sexuelles Begehren zugestanden worden sei, statt dessen hätte sie sich zu fügen, wenn der Mann das Recht auf den weiblichen Körper eingefordert habe. 1904 schrieb der Jurist Max Thal: »Manch eine stammelt noch ein abwehrendes, rührend tiefes ›Nicht doch!‹, wenn schon alles vorüber ist.« Heute manifestiert sich dies in der obskuren Vorstellung, eine Frau habe sich rar zu machen oder das eigene Begehren nicht zu offensiv auszuleben, das Stigma »Schlampe« ist nach wie vor ein wirkmächtiges. Besonders von Sexarbeiterinnen, aber auch von nicht nur in der Ehe oder nur mit einem festen Partner sexuell aktiven und/oder unterprivilegierten Frauen scheint eine Mehrheit anzunehmen, dass sie gar nicht missbraucht oder sexuell belästigt werden können. Auch Mittel- und Oberschichtsdamen distanzieren sich gern von solchen in ihrer Wahrnehmung »schmutzigen« Frauen.
Dabei steht jedes Opfer, falls es sich nicht ohnehin selbst die Schuld gibt oder aus Scham schweigt, unter dem Zwang, eine Vergewaltigung auch zu »beweisen«. Gleichzeitig wird den Überlebenden von Missbrauch Tag für Tag, sei es durch von den Medien reißerisch begleitete Gerichtsurteile, sei es durch den sexistischen Tenor der Kulturindustrie, bis hinein ins eigene Umfeld suggeriert, ihre Aussage sei zweifelhaft oder das Leben des Opfers nicht so wichtig wie das des Täters: Stanford-Starathlet Brock Turner ist im Juni zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden, nachdem er eine bewusstlose junge Frau vergewaltigt hatte. Er wurde Anfang September wegen guter Führung entlassen. Die kurze Haftzeit wurde damit begründet, dass eine härtere Strafe die so aussichtsreiche Zukunft des jungen Leistungsschwimmers zerstören würde.
Dass Turner das Leben einer Frau nachhaltig geschädigt hat, ist in einer von Männern angeführten öffentlichen Debatte zweitrangig, denn hier kann der weibliche Körper nur in Beziehung zum Mann auftauchen. Opfer, die einen Übergriff anzeigen, werden einer peinlich genauen Befragung über die dem Übergriff vorausgegangene Situation unterzogen. Beim Täter spricht man hingegen darüber, wie Prozess oder Gefängnis sich auf seine Zukunft auswirken könnten.
In einem warenproduzierenden Patriarchat ist das männliche Subjekt von Geburt an konditioniert zu glauben, ihm stünde qua Phallus alles zu, was es wolle, vor allem das Recht auf den Besitz des weiblichen Körpers. Da Männlichkeit allerdings auch ein unglaublich fragiles Konstrukt ist, das sich selbst und anderen immer wieder erneut bewiesen werden muss, können viele ein Nein nicht auf sich beruhen lassen. Im besten Falle wird die oder der Betroffene genötigt, sich dafür zu rechtfertigen, dass sie/er nicht auf die doch so betörenden Avancen eingehen will, im schlimmsten Falle setzt man sich einfach über das Nein hinweg.
Durch die Änderung des deutschen Sexualrechtsparagrafen im Juli gilt es inzwischen auch als Vergewaltigung, wenn sich der Täter über den »erkennbaren Willen« des Opfers hinwegsetzt. Damit macht sich inzwischen nicht mehr nur derjenige strafbar, der Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Anstatt den Paragrafen jedoch progressiv zu kritisieren, nämlich dahingehend, dass Gefälligkeit integraler Bestandteil einer weiblichen Sozialisation ist oder dass seitens des Täters oft immens viel Druck aufgebaut wird, um das Nein in ein Ja zu verwandeln, laufen die Männer des Landes Sturm. Seien es Maskulinistengruppen auf Twitter oder das Feuilleton der »Zeit« – alle warnen: »Das Schlafzimmer ist ein gefährlicher Ort.« Nein, nicht für die Frau, die befürchten muss, von ihrem Gatten zum Sex genötigt zu werden, sondern, wie die »Zeit« beklagt: »Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau künftig am Tag danach«, die Verschärfung des Strafrechtes sei »unnötig und verhängnisvoll«.
Dass zur Zeit mehr über Falschbeschuldigungen als über Vergewaltigungen geredet wird, ist symptomatisch für eine männliche Schuldabwehr und der Rape Culture immanent. Der Gedanke dahinter ist ein perfider: Wenn der Mann sich selbst als Opfer inszeniert, kann er kein Täter mehr sein. Deshalb werden Debatten über sexuellen Missbrauch in der Öffentlichkeit oft so begeistert verfolgt und jede Anklage auf Herz und Nieren überprüft. Während kaum eine Frau mit einer Falschbezichtigung durchkommt, bleiben Tausende Vergewaltigungen ungesühnt, weil in der Regel nicht mal das Anzeigen Sinn hat.
Entscheidet ein Gericht wie im Fall Gina- Lisa Lohfink auf Falschbeschuldigung durch eine Frau, klopfen sich die Pimmelträger der Nation auf die Schultern, wieder einmal wurde bewiesen, dass Vergewaltigungen eine Erfindung des intriganten Weibsvolks sind. Das kollektive männliche Gewissen wurde reingewaschen, und niemand muss sich mehr damit auseinandersetzen, selbst übergriffig sein zu können. Begonnen werden muss die Debatte über Vergewaltigung nicht beim »Nein heißt Nein«, sondern bei einer grundlegenden Arbeit an der männlichen Psyche und am patriarchal strukturierten Kapitalismus.
Mithu M. Sanyal: Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens. Nautilus, Hamburg 2016, 240 Seiten, 16 Euro
Veronika Kracher möchte sich bei Jana Klein für intellektuellen Input bedanken