Eine Fahrradtour durch Ostdeutschland.
Von Friedrich C. Burschel
Wer zu einer spätsommerlichen Radtour – anders als die Hamburger Tomayer-Gemeinde – von Neukölln aus nach Süden aufbricht, gen Weimar, der kann sich nach kurzer Zeit vorstellen, wie das Abendland der »patriotischen Europäer« aussähe, wenn die Politik der CSU, der AfD und anderer Rassisten konsequent bis zur Abschiebung der letzten Geflüchteten durchgezogen würde. Die flache Landschaft ist wunderschön und die Feld- und Radwege mit Zwetschgen, Reineclauden, Mirabellen, Kriechpflaumen, Äpfeln und Birnen reich gesäumt; jede/r kann sich was abpflücken, und wenn man an den kleinen halbrunden Stellen vorüberkommt, wo das Fallobst auf die Wege fällt, fährt man durch süßlich-dicke Schwaden gärenden Obstes. Der Himmel ist hoch, der Blick weit, und eine gelbe Sonne lacht über mir und vermutlich auch mich.
Andererseits führt der Weg durch Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen durch ausgestorbene Nester, wo einen der Leerstand aus blinden Fenstern anstarrt, und Städtchen, die an sich putzig und schön wären, idyllisch und irgendwie gemütlich, wenn …, ja, wenn nur die Bewohner nicht wären: aggressive, scheel blickende junge Männer, die alle wie Nazis aussehen und mit einer Trefferquote von mehr als 50 Prozent wohl auch welche sind; sie fahren mit dröhnenden Motorrädern und riesigen Autos durch ihre tägliche Langeweile und tun nicht gut. Auf einem Auto in Pretzsch steht: »Ich bremse nicht für Kinderschänder.« An den Stamm eines Obstbaums bei Bad Schmiedeberg hat einer in Neongelb »2017 AfD wählen« gesprüht. Auf einem Hundetrainingsplatz bei Bad Düben machen drei Männer in Flecktarn einen Schäferhund scharf. In Schrebergärten in Weißenfels wehen schwarz-weiß-rote »Deutschland – meine Heimat«-Flaggen, wo nur ein Eisernes anstelle des verbotenen Hakenkreuzes in den Klauen des NS-Adlers prangt. Saaleck schließlich, wo einst der NS-Architekt und Bauhaus-Liquidator Paul Schultze-Naumburg lebte und die Mörder Walther Rathenaus begraben liegen, entlässt mich mit einem herzlichen »Saaleck asylantenfrei! – Leck mich am Arsch, Willkommenskultur« nach Thüringen.
Ich frage mich beim Anblick all der feindselig blickenden Alten wie Jungen immer wieder, was wäre, wenn ich kein weißer, deutschsprechender Mann wäre, sondern ein Geflüchteter, eine Frau gar, mit dunkler Haut und fehlender Sprachmacht. Und diese nach Schlüsseln in diese amtlicherseits »Entleerungsräume« genannten Gebiete Zugeteilten schleichen hier denn auch kleinlaut und in schützenden Gruppen durchs Bild und wirken neben imaginiertem Tumbleweed verloren und ausgeliefert.
Nur eine Begegnung war sehr schön: In Jüterbog sah ich eine junge Frau mit zu einem Dutt gebundenen, kleinen, bunten Dread-Zöpfchen einen »Identitären«-Aufkleber von einem Laternenpfahl knibbeln. Ich habe es sehr bereut, sie nicht angesprochen und auf ein Bier eingeladen zu haben, um zu erfahren, ob und wie man hier, wo die deutsche Degeneration unter sich bleiben will, zurechtkommt. Ein Hoch auf die Rose von Jüterbog.
Friedrich C. Burschel