»Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu; und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei«, reimte Heine, private Dinge betreffend. Eine alte Geschichte in öffentlichen Dingen bricht nicht das Herz, sie ist geeignet, um den Verstand zu bringen. Es ist die Geschichte, in der ein Unternehmen sich um einen staatlichen Auftrag bewirbt und dessen Erledigung zu einem Preis verspricht, der von den Medien und ihren Politikern als vernünftig verkauft werden kann.
So war es 1974, als der Rüstungskonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm den Zuschlag für den Bau des Militärflugzeugs MRCA Tornado, »das größte technologische Projekt seit Christi Geburt« (Helmut Schmidt), zum Stückpreis von 20 Millionen Mark erhielt. Im November desselben Jahres rechnete Karl-Heinz Hansen, SPD, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags, in konkret vor, dass daraus bald 61 Millionen würden und bei Lieferung 1980 rund 82 Millionen. In einem Brief schrieb Ernst-Georg Pantel, Leiter des Unternehmensbereichs Flugzeuge der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH, »dass die bisher geschätzten Preise – Gerätestückpreis einschließlich Umsatzsteuer: DM 20 Mio. – durch genügend analytisch kalkulierte Einzelbestandteile untermauert, jetzt zur Basis einer Festpreisbildung gemacht werden könnten. Sie verstehen daher sicher mein Erstaunen, dass – soweit ich den mir zugegangenen Berichten glauben darf – Sie bei einer Veranstaltung in München am 30.8. einen Systempreis von 61 Mio. genannt haben …«
In der Tat sollte sich Hansens Prognose als falsch erweisen. Bei Lieferung kostete der Tornado pro Stück mehr als 100 Millionen. Die gleiche alte Geschichte schreiben der BER-Flughafen und die Elbphilharmonie. Zuletzt im November 2010, die Grünen Winfried Kretschmann und Boris Palmer waren noch dabei, den Widerstand gegen den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs zu desorganisieren, hatte Gremliza in seiner Kolumne von den »fünf Milliarden Euro« geschrieben, »die der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs heute kosten soll«, von den »zehn Milliarden, die er morgen kosten« werde und den »zwanzig Milliarden, die er übermorgen gekostet haben wird«. Den ersten Punkt hat jetzt der Bundesrechnungshof abgehakt: Stuttgart 21 werde zehn Milliarden kosten. Bahnchef Rüdiger Grube, von Daimler zum Herunterwirtschaften der lästigen Konkurrenz an die Spitze der Deutschen Bahn delegiert, war – wie einst Pantel – »sehr verwundert«. Das wundert nicht. Wenn er lesen könnte, läse er gewiss nicht konkret, sondern Produkte des deutschen Qualitätsjournalismus, in denen der redaktionelle Teil »anzeigenfreundliches Umfeld« heißt und bei der Umverteilung aus öffentlichen Kassen in private Taschen nicht stören will.
Sechs Mann stark war zwischenzeitlich das Fahrerfeld der diesjährigen Horst-Tomayer-Gedenkradfahrt vom 26. bis zum 28. August. Bei tropischen Temperaturen fuhren die Stellvertreter des 2013 verstorbenen Dichters, Zwischenrufers und Wallradfahrers Horst »Hotte« Tomayer auf lauschigen Wegen entlang Elbe und Havel von Hamburg nach Berlin. Einen Beinahhitzschlag kurz vor Hitzacker konnten die Quasidehydrierten nur mit einigen ratzfatz einverleibten halben Litern alk- und hitzebefreiten Weizenbiers und einem mehr als coolen Bad in der Elbe kontern. »Was bleibt,« resümierte Gedenkradfahrer Arthur am Ende, »ist das Gefühl, an etwas teilgenommen zu haben, was die Lust am Leben ausmacht. Vergessen will ich auch nicht, wem ich das zu verdanken habe.« Also, aufauf zur nächsten Horst-Tomayer-Gedenkradfahrt, am letzten August-Wochenende 2017.
Ein ausführlicher Reisebericht der diesjährigen Tour findet sich auf dem Blog von Fritz Tietz.
Seit einigen Tagen in der Edition Suhrkamp: Haupt- und Nebensätze, Gremlizas Gedanken aus den letzten zwei Jahrzehnten, gesammelt und neu gefasst – über Sommermärchen und Winteralpträume, über deutsche Unglücksfälle auf G (wie Gauck, Gabriel, Gysi), über deutsche Verbrechen gegen die Menschheit und andere Exportschlager. Vorstellung des Bandes an zwei Abenden unter dem Titel »Scheiß Deutschland«: am 3. Oktober im Polittbüro Hamburg mit Thomas Ebermann, am 12. November im Roten Salon der Berliner Volksbühne mit Dietmar Dath.
Tomasz Konicz stellt am 1. Oktober in der Berliner Schankwirtschaft Laidak, Boddinstraße 42/43, um 19 Uhr sein Buch Kapitalkollaps. Die finale Krise der Weltwirtschaft (konkret texte 68) vor.