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»Seit Jahren fischt die Politik am rechten Rand«

Bautzen, Tröglitz, Heidenau, Clausnitz und so fort – in einigen Regionen Ostdeutschlands, das sich einst eines »antifaschistischen Schutzwalls« rühmte, triumphiert heute der realexistierende Faschismus. konkret sprach mit Sebastian Krumbiegel, der in der Band Die Prinzen singt und als Solokünstler aktiv ist, über das Leben im Osten, den rechten Terror in Sachsen und die Grenzen der Aufklärung.

konkret: In Ostdeutschland nehmen Aufmärsche von Nazis, Übergriffe auf Geflüchtete und Anschläge auf deren Unterkünfte dramatisch zu. Sie leben noch in Ostdeutschland …

Sebastian Krumbiegel: … noch. (lacht) Ich finde das »noch« immer so komisch. In letzter Zeit habe ich oft das Gefühl, ich müsste mich dafür rechtfertigen. Ich lebe in Leipzig, also in Ostdeutschland, und ich lebe da nach wie vor gerne. Natürlich gibt es aus Sachsen derzeit sehr schlimme Nachrichten. Auch Pegida demonstriert weiterhin jeden Montag in Dresden, und auch in Leipzig gibt es diese Demonstrationen. Hier haben wir das aber etwas besser im Griff. Das ist kein Zufall, weil Leipzig immer eine offene Stadt, eine Messestadt, war. Dresden dagegen war immer eine Residenzstadt.

Wie erklären Sie sich den Aufstieg der Rechtsradikalen besonders in Ostdeutschland?

Wenn wir uns die sächsische Politik ansehen, dann muss man einfach sagen, dass da viele Probleme hausgemacht sind. Das Thema Rechtsextremismus wurde viele Jahre totgeschwiegen. Das fing schon mit dem früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) an, der sogar sagte, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Oder nehmen wir den amtierenden Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU), der, nachdem Christian Wulff den Satz »Der Islam gehört zu Deutschland« gesagt hatte, meinte, der Islam gehöre nicht zu Sachsen.

Schon seit Jahren fischt die etablierte Politik hier am rechten Rand. Es wird den Leuten nach dem Mund geredet, um Wählerstimmen abzugreifen. Aber es kann nicht der Weg sein, die Rechten noch rechts überholen zu wollen. Und damit meine ich jetzt nicht bloß Horst Seehofer, sondern auch die Sozialdemokratie und selbst Leute wie Sahra Wagenknecht. Man kann nur versuchen, mit demokratischen Mitteln etwas an der Situation zu verändern. Letztlich muss man mit den Leuten, die dafür offen sind, auch reden.

Aber wir müssen auch sehen, dass es Rechtsradikale natürlich nicht nur im Osten gibt. Die Menschen in Westdeutschland haben lediglich tendenziell besser verstanden, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Im Osten haben die Leute nicht die Erfahrungen gemacht, die im Westen gemacht worden sind. Es gab nicht in dem Maße die sogenannten Gastarbeiter. Ich meine das nicht entschuldigend, sondern erklärend.

Sie engagieren sich öffentlich gegen rechts. Werden Sie deshalb auch angefeindet?

Ich habe Anfang des Jahres einen heftigen Shitstorm erlebt, nachdem ich bei einer Anti-Legida-Demo in Leipzig von einem Kamerateam interviewt worden war. Ich habe denen gesagt, dass ich dafür werbe, dass Leipzig eine offene Stadt ist und ich mich für ein respektvolles und tolerantes Miteinander einsetze.

Dann kam, wie zwanghaft, die Nachfrage, ob die Ereignisse der Kölner Silvesternacht Sie da nicht haben umdenken lassen. Und Sie haben darauf hingewiesen, dass die Ereignisse von der falschen Seite instrumentalisiert werden und dass, wenn viele betrunkene junge Männer zusammenkommen, miese Dinge passieren können – ob die Leute nun aus Syrien, Sachsen oder Bayern kommen.

Ich hätte vorab klarstellen sollen, dass die Übergriffe natürlich schlimm waren und die Leute bestraft werden müssten. Aber im übrigen stehe ich zu diesen Aussagen. Sie können sich nicht vorstellen, wie mir diese Geschichte um die Ohren geflogen ist. Das war ein ganz massiver Shitstorm mit Hassund Droh-Mails. Und kürzlich saß ich in einer Talkrunde bei Phoenix zum Thema Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Auch danach bekam ich wieder viele üble Mails, in denen dann etwa steht, ich sei eine »linksversiffte Zecke«.

Und mit solchen Leuten wollen Sie reden?

Ich bin fest davon überzeugt, dass es immer zielführend ist, miteinander zu reden, solange es noch einen Zugang gibt. Was sollten wir sonst tun? Aber ich frage mich schon, warum die Leute nicht gegen die wachsende soziale Ungleichheit und den ausufernden Kapitalismus demonstrieren, sondern auf Demos gehen, wo sie Rednern aus der extremen Rechten zuhören.

Dass die Leute Ängste haben, das kann ich ja verstehen. Aber wenn sie diese Ängste zum Vorwand nehmen, um gegen Menschen zu hetzen, denen es schlechter geht, die aus Kriegsgebieten geflohen sind, Angehörige oder Freunde verloren haben und endlich in Sicherheit und mit einer neuen Perspektive leben wollen, kann ich das nicht ertragen.

Man sollte allerdings die Leute auch nicht vorschnell als Nazis und Rassisten bezeichnen, weil man sie dann in eine Ecke stellt, aus der sie nicht mehr herauskommen. Aber dahin haben die sich doch selber gestellt. Also, ich will nicht, dass auch in Zukunft 20 Prozent oder mehr der ostdeutschen Bevölkerung die AfD wählen.

Das wollen wir auch nicht.

Aber dann muss ich doch versuchen, irgendeine Art von Aufklärungsarbeit zu machen und darf die Leute nicht von vornherein aufgeben.

Was machen Sie für Erfahrungen, wenn sie dann mit denen reden?

Einmal war ich in Leipzig bei einer Demo am 8. Mai, also zum Tag der Befreiung. Ich bin dann an dem sogenannten Bürgerbüro der NPD vorbeigekommen. Die hatten sich verbarrikadiert, und ich habe mir die Szenerie angesehen. Dann kamen ein paar von den Typen, die mich erkannt hatten, an und sagten: »Ah, der Krumbiegel, gute Musik, deutsche Texte«.

Gratulation zum arischen Liedgut.

Das war wirklich ganz schön schräg. Aber dann habe ich die gefragt, was sie da drinnen so machen. Und nach einigem Zögern haben die mich reingelassen. Ich habe dann versucht, mit denen zu sprechen. Es war schon krass, weil die dann zum Beispiel auch den Holocaust geleugnet haben. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich wenigstens einen dieser Typen erreicht habe. Ich sage nicht, dass es leicht ist, aber wenn wir aufgeben und nicht mehr versuchen, mit den Leuten zu sprechen, dann haben wir verloren.

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