Anlässlich der Anschläge von Paris erklärte das Gemischtwarenkollektiv Anonymous seine Bereitschaft, die Islamischer Staat genannte Terrororganisation im Internet zu bekämpfen. Die hiesige bürgerliche Presse frohlockt und bekundet diesbezüglich ihre Sympathie für die Hackernerds. Drei Aspekte dieses Vorgangs sind bemerkenswert.
Erstens handelt es sich bei Anonymous um eine dubiose, mitunter kriminelle, überwiegend anarchische Gruppe, deren herausragendes Kennzeichen die Unverbindlichkeit des gemeinsamen Wirkens darstellt. Jeder sich rebellisch dünkende Nerd kann Teil von Anonymous werden: für eine Aktion oder für mehrere, doch niemals à la Bonnie und Clyde oder in der Art von RAF-Desperados. Das Hacken und Coden findet vereinzelt und anonym vor Monitoren statt, im echten Leben meiden sich die Hacker. Das ist sinnvoll, denn die Anonymous-Meinungsvielfalt ist größer als die der Linkspartei. Neben Salonbolschewisten und libertären Vollbartträgern gibt’s Antisemiten, wie die #OpIsrael-Cyberangriffe offenbart haben.
Zweitens betreiben die Anonymous-Leute kaum Hacking im eigentlichen Sinne, vielmehr sammeln sie Informationen über IS-Akteure und leiten sie weiter an westliche Geheimdienste und Unternehmen à la Twitter und Facebook. »Was Anonymus macht …, ist das Identifizieren und Überwachen aller Aktionen, die Isis helfen können zu kommunizieren und zu rekrutieren«, sagte der Anonymous-Aktivist Gregg Housh in einem Interview mit der »Washington Post«. In diesem Sinne »verschwenden sie die Zeit einzelner Extremisten und nähren das Phantasma des fürs Gute kämpfenden Internetkollektivs«, wie es der US-Journalist Tom McKay auf den Punkt bringt. Er resümiert: »Es könnte die extremistische Gemeinschaft weiter in den Untergrund treiben … oder sie zu weiteren Aktionen anstacheln.«
Drittens ignorieren die deutschen Feuilletonisten die Punkte eins und zwei. Bis vor kurzem beäugten sie das Treiben der verrückten Nerds skeptisch bis ablehnend und schlugen die Hände über den halbleeren Köpfen zusammen, als Anonymous Facebook zu vernichten ankündigte. Doch genausowenig wie die Facebook-Vernichtung wird die Ausschaltung der digitalen IS-Propaganda gelingen. Die neusten Verlautbarungen von Anonymous dienen »FAZ«-Autor Michael Hanfeld und anderen Medienheinis dazu, wohlfrisierte Gut-Böse-Sermone zu verfassen und sich darüber zu beömmeln, dass Anonymous qua Hacking IS-Propaganda durch Viagra-Werbung ersetzt. Peter Kusenberg