Wie sich Carolin Emcke für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bedankt.
Von Stefan Gärtner
Also, es fängt damit an, dass ich meinem Freund, dem Regisseur Nurkan Erpulat, die Frage stelle, was es für ihn bedeute, muslimisch zu sein, und er antwortet: »Das kommt auf den Kontext an.« Gute Antwort, geile Antwort, wie seit spätestens strukturalistischen Tagen eigentlich alles auf den Kontext ankommt, und bekäme ich den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, ich würde sie dem Publikum in meiner Dankesrede unbedingt mitteilen (»Mein Freund, der Regisseur Nurkan Erpulat, hat einmal auf die Frage, was es für ihn bedeute, muslimisch zu sein, geantwortet: ›Das kommt auf den Kontext an‹«). Aber ich habe keinen muslimischen Freund, der Regisseur ist, ich kriege auch diesen Preis nicht, denn ich schreibe hier und nicht, zum Beispiel, in der »Süddeutschen «.
Das ist nämlich ein Kontext, den Carolin Emcke in ihrer Dankesrede vergessen hat: dass es ein materielles Substrat gibt und soziale Bedingungen, die dafür sorgen, dass die einen in der Welt herumgondeln, Bücher schreiben und Preisreden halten dürfen und die anderen, läuft’s dumm genug, zu jenen Fanatikern werden, über die und »ihre falschen Gegensätze, ihre konstruierten Anderen « sich in Preisreden und Büchern (vgl. Emcke, Gegen den Hass) so schön lamentieren lässt: »Sie«, falls das kein falscher, konstruierter Gegensatz ist, »verbreiten Angst und Schrecken und reduzieren den sozialen Raum, in dem wir uns begegnen und artikulieren können.«
Warum wer die sozialen Räume, in denen sich Emcke und ihre geschlossene Gesellschaft bewegen, per Angst und Schrecken reduziert, bleibt freilich offen, denn dass der Hass und die Dummheit jener Klassengesellschaft angehören, deren obere Hälfte in der Paulskirche sitzt, muss nicht jucken, wenn, herrje, »demokratische Geschichte « zu machen ist: »Eine demokratische Geschichte erzählen alle. Nicht nur die professionellen Erzählerinnen und Erzähler. Da ist jede und jeder relevant, alte Menschen und junge, die mit Arbeit und die ohne, die mit mehr und die mit weniger Bildung, Dragqueens und Pastoren, Unternehmerinnen oder Offiziere, jede und jeder ist wichtig, um eine Geschichte zu erzählen, in der alle angesprochen und sichtbar werden. « Auch die im Dunkeln, und da gibt es viele und immer mehr, und wenn sie von der Tafel oder vom Amt kommen, dann sind sie in dieser famos demokratischen und quasi-evangelischen Lügengeschichte so relevant wie du und ich.
»Wir dürfen uns nicht wehrlos und sprachlos machen lassen.« Als wären wir, die gymnasialen Guten vom Überbauamt, jemals sprachlos und als wäre die Sprachlosigkeit der Anderen mit ihrem schlimmen falschen »Raster der Wahrnehmung«, das den Feind immer da sieht, wo er garantiert nicht steht, nicht von derselben Bourgeoisie gewollt, deren Pelz C. Emcke so ergriffen in die Trockenreinigung trägt. Aber gut, wenn wir hernach wieder »Vertrauen« haben »in das, was uns Menschen auszeichnet: die Begabung zum Anfangen«, und zwar nicht mit dem Hummerschaumsüppchen, sondern einem »demokratischen Humanismus«, wie ihn sich Reichspastor Gauck nicht folgenloser wünschen könnte.
»Wir können immer wieder anfangen«, endet Emcke. Wie beruhigend für alle, die darauf setzen, dass es nicht aufhört.
Stefan Gärtner