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Breiter Anklang

Der Nazi-Terror der »Reichsbürger«.

Von Florian Sendtner

Am 15. November 2010 rückt in einem Mietshaus im oberbayerischen Pfaffenhofen am Inn die Polizei an. Der Mann, den die beiden Zivilbeamten suchen, ist nicht auffindbar. Sie klingeln bei den Nachbarn, einem jungen Ehepaar, das kann ihnen auch nicht weiterhelfen. Oder wollen sie nur nicht? Die Nachbarn haben keine Lust, die Polizisten in ihre Wohnung zu lassen – wenn das nicht verdächtig ist! Die Beamten verschaffen sich gewaltsam Zutritt, das Ehepaar zeigt sich noch immer uneinsichtig; auch die mittlerweile hinzugekommenen Eltern der Frau (der Vater selbst pensionierter Polizist) sind nicht kooperativ, fragen statt dessen, was die Polizei in ihrer Wohnung verloren hat. Die Antwort der mittlerweile auf zehn Mann angeschwollenen Staatsgewalt: Die vier renitenten Personen werden niedergerungen und gefesselt. Die junge Frau, die mit einem stumpfen Bauchtrauma, einer Schulterprellung und weiteren Verletzungen neun Tage im Krankenhaus liegt, sagt später vor Gericht: »Mein Vater wurde von Anfang an durchgeschlagen, der hat so viele Schläge kassiert, die ganze Zeit, der war bewusstlos.« Die vier Geschädigten und schwer Traumatisierten sagen allerdings nicht als Zeugen der Nebenklage aus, sie sitzen auf der Anklagebank. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Richter, in einem Anfall von Milde, stellt das Verfahren ein.

Der Fall hat selbst in Bayern, wo man Polizeiübergriffe gewohnt ist, für Aufsehen gesorgt. Dabei hatte die Familie in Pfaffenhofen am Inn noch Glück im Unglück. Denn ihr uneinsichtiges Pochen auf Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert und der die Beamten offensichtlich so in Rage brachte, hätte bei denen auch noch eine ganz andere Reaktion auslösen können. Die Gesetzeshüter hätten nämlich, bevor sie zuschlugen, erst mal die Gegenfrage stellen können: Grundgesetz? Was für ein Grundgesetz? Auf die entgeisterten Blicke wäre dann eine kurze staatsrechtliche Belehrung gefolgt: Sie, die Beamten, seien auf Grundlage der Reichsverfassung beziehungsweise des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich von 1933 im Einsatz. Beim sogenannten Grundgesetz handle es sich um ein nichtiges Konstrukt, das keinerlei Geltung beanspruchen könne. Kurzum, die ohne richterliche Genehmigung erfolgende Hausdurchsuchung sei rechtens.

Dass dies nicht die Ausgeburt einer überspannten Phantasie ist, sondern ein durchaus mögliches Szenario, wurde ausgerechnet durch einen Polizistenmord offenbar. In Georgensgmünd bei Nürnberg wurde am 19. Oktober 2016 der 32jährige Polizeibeamte Daniel Ernst von einem »Reichsbürger« erschossen. Die Polizei hatte ein ganzes Arsenal von Schusswaffen beschlagnahmen wollen, das Wolfgang P. ganz legal besaß. Der 49jährige hatte allerdings nichts unversucht gelassen, die Behörden darauf aufmerksam zu machen, dass ihm seine nationalsozialistische Gesinnung gebiete, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik, die sowieso nur ein Fake sei, zu beseitigen – bis selbst das Landratsamt Roth nicht mehr anders konnte, als ihm den Waffenschein zu entziehen. Da Wolfgang P. die Waffen monatelang nicht freiwillig herausrückt, steht am 19. Oktober ein Polizeikommando vor der Tür, Wolfgang P. schießt sofort auf die Beamten, verletzt drei von ihnen, einer stirbt.

Mitten in Bayern wird ein Polizeibeamter erschossen – aber der Ball wird flachgehalten. Wäre der Täter ein syrischer Flüchtling gewesen, Seehofer hätte noch am selben Tag die Große Koalition aufgekündigt. Doch der Mörder ist nur ein heimischer Neonazi, also kein Grund zur Aufregung. Seehofer verliert kein Wort zu dem »Zwischenfall«, sein Innenminister Joachim Herrmann greint ein wenig auf der Trauerfeier für den erschossenen Polizisten (»Noch immer stehen wir alle diesem schrecklichen Ereignis fassungslos gegenüber «), und zwei Wochen danach ist die Sache vergessen. So ist es zumindest geplant.

Dumm nur, dass in den Tagen nach dem Mord bekannt wird, dass es auch in den Reihen der Polizei »Reichsbürger« gibt. Herrmann muss im Bayerischen Fernsehen zugeben, dass es bei der bayerischen Polizei mindestens vier Beamte gibt, die öffentlich so demonstrativ ihre Treue zum Deutschen Reich in den Grenzen von 1937 bekunden, dass man nicht umhinkonnte, Disziplinarverfahren gegen sie einzuleiten. Einer davon ist auch noch Ausbilder bei einer Polizeischule, zwei seien bereits vom Dienst suspendiert. Und es werden fast täglich mehr, Herrmann fordert ein hartes Durchgreifen gegen seine eigenen Beamten – ganz so, als wäre ebendas nicht sein höchstpersönliches jahrelanges Versäumnis. Die augenzwinkernde Duldung rechtsextremer Beamter ist in Bayern bekanntlich Bürgerpflicht.

Nachfrage beim bayerischen Innenministerium eine Woche nach dem Polizistenmord: Mittlerweile gebe es fünf Disziplinarverfahren, räumt Pressesprecher Michael Siefener ein, drei Polizeibeamte seien suspendiert. Nein, um Gottes Willen, man habe die »Reichsbürger« natürlich »schon vorher auf dem Schirm gehabt«. Oh ja! Ende September 2014 spricht das Innenministerium in seiner Antwort auf eine Anfrage des SPDAbgeordneten Florian Ritter zu den »Aktivitäten von sogenannten Reichsbürgern in Bayern « von »Einzelfällen«, die »eher auf querulatorische Motive« hinwiesen »als auf eine ernsthafte politische Zielsetzung«. Und noch Ende Mai 2016, als die Grünen-Abgeordnete Katharina Schulze nachhakt, bestreitet das Innenministerium, »dass die Gedankenwelt der ›Reichsbürger‹ breiteren Anklang in der bayerischen rechtsextremistischen Szene findet«, allenfalls »vereinzelt« gebe es »Berührungspunkte « zwischen Neonazis und »Reichsbürgern«. Ganz wie bei den Gebirgsschützen und der CSU.

Und wie steht es mit dem bayerischen Verfassungsschutz? Wie viele »Reichsbürger « tummeln sich da? Beobachten die sich dann selber? – Pressesprecher Michael Siefener: »Bislang« sei »noch keiner gemeldet worden«, doch »sobald ein Hinweis kommt«, werde man »dem nachgehen«. Ja dann.

Derweil rotten sich die »Einzelfälle« von »Reichsbürgern« zum Massenphänomen zusammen. Reinhard Nemetz, der Präsident des Münchner Amtsgerichts, wird in der »SZ« zitiert, er habe im laufenden Jahr bereits hundert Strafanzeigen gegen »Reichsbürger« laufen, die Justizangehörige bedroht, genötigt oder erpresst haben. Quer durch die Republik attackieren Neonazis, die vom Verfassungsschutz und den Medien als Spinner und Querulanten verharmlost werden, Richter und Gerichtsvollzieher.

Woher sie ihre Inspiration haben, zeigt die Facebook-Seite des Polizistenmörders von Georgensgmünd, auf der unter anderem ein Foto von der Anklagebank des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses zu sehen ist. Statt Göring, Heß und Co. sind die Köpfe des Kabinetts Merkel einmontiert. Und im Hintergrund hört man Horst Seehofer, wie er schnaufend und mit rollendem R zur »Notwehr« gegen die »Herrschaft des Unrechts« aufruft. Das war im Oktober 2015 beziehungsweise im Februar 2016, und, nur zur Erinnerung: Mit der »Herrschaft des Unrechts« meinte Seehofer die Regierung Merkel.

Für konkret 9/16 war Florian Sendtner zu Besuch bei den Pius-Brüdern

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