Es ist das alte Lied: Where have all the young men gone?, und die alte Antwort: They are all in uniform. Pete Seegers Songtext, gelesen als Paraphrase auf eine Generation, die einst im Mai 68 ff. ihre Zukunft auf Rouge gesetzt hatte, auf Trotzki, Mao, Hoxha, Pol Pot, Che, Adorno, Reich, irgendwo bei denen, meinten sie, könnte was laufen und sie selbst bei vergleichsweise gutem Gewissen mitlaufen, auf eine Position, eine Professur gar. Doch schon nach wenigen Umdrehungen fiel die Kugel auf Noir, wurden die Jetons an ihnen vorbeigeschoben, mussten sie – nach einer gewissen Trotzphase – einen Ausweg suchen, einen Anlass, das Stigma der über Nacht lästig gewordenen Vergangenheit loszuwerden. Der »Prager Frühling« war eine gute Gelegenheit, der »Bleierne Herbst« in Deutschland eine bessere. Eine Zeitlang noch bemüht, immer mal wieder ein Haar in der ihnen vorgesetzten Suppe zu entdecken, sind die zu kurz Gekommenen seit zwei, drei Jahren dabei, dem letzten Aufruf zu folgen: Wer jetzt nicht spurt, kommt nie mehr mit. Da tut ein Blick zurück in Gelassenheit gut. Kurt Tucholsky in der »Weltbühne« 1931:
Willst du ›richtig liegen‹? Dies, mein Sohn, ist die Konjunktur des Tages: pazifistische Terminologie, nationalsozialistischer Inhalt, vorgetragen im Ton eines lyrischen Universitätsprofessors, der noch nicht genau weiß, ob er Soziologie oder Philosophie lesen soll. Dergleichen schließt alle Möglichkeiten in sich, verpflichtet zu gar nichts, und du hast es gleich gesagt. Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an. Nicht zu eng – aber schließ dich an.
»Wer hinaufwill, muss herunterkommen, wer was werden will, aufhören, was zu sein«, heißt der erste Satz in Gremlizas Haupt- und Nebensätze, die im Lauf dieses Jahres erscheinen werden. Der Erkenntnis liegen auch Erfahrungen zugrunde, die in den letzten 40 Jahren nicht zuletzt mit Autoren und Autorinnen von konkret gemacht werden durften. Jüngster Fall ist der des Stefan Frank, der nun ein Hohelied anstimmt auf die von Zuhältern bezahlten Türsteher, die sich in Köln und Hamburg als die wahren Helden bei der Verteidigung deutscher Frauenehre erwiesen hätten. Zitat:
Genug Ressourcen bereitzustellen, um die Sicherheit seiner Kunden zu gewährleisten, hat der private Unternehmer selbst in der Hand. Und nur, wenn er das tut, bleibt er im Geschäft. Darum fliehen verängstigte Menschen an private Orte, wenn der Fickificki-Mob wieder tobt. Das staatliche Niemandsland hingegen ist ein vorzivilisatorischer Zustand; der Begriff »Asphaltdschungel« kommt nicht von ungefähr. Dass es ausgerechnet Türsteher sind, die die Bürger noch schützen, hat Symbolkraft: Die Aufgabe des Türstehers ist es, eine Grenze vor unbefugtem Übertreten zu schützen – genau das also, was zu tun der Staat sich derzeit weigert.
Frank weiß, dass der Begriff nicht von ungefähr kommt; was er nicht weiß, weil Wikipedia Geheimnisse zu hüten weiß: Asphalt Jungle ist der Titel eines im vorzivilisatorischen Amiland 1950 von John Huston verfilmten Romans von W. R. Burnett und hat mit dem Asphalt, dessen Anblick den Dorfbewohner F. ängstigt, nicht das Geringste zu tun. Umso näher steht Franks Phobie der Metapher und dem Synonym für den Fickificki-Mob der verderbten Großstadt, als den Goebbels jene »wurzellosen Asphaltliteraten « ansprach, die »meistenfalls nicht aus unserem eigenen Volkstum hervorgegangen sind«.
Und wer postet solchen Mumpitz aus dem Neandertal? Den postet ein Verein, in dem der Gründer Henryk Broder neben den anstelligsten Renegaten und -gatinnen die besten Stimmen fürs Vaterland versammelt hat – wie die des Hans-Olaf Henkel (z. Zt. trocken?), der Vera Lengsfeld, des Fleischhauers Matussek oder des Pirinçcnazis. Und demnächst, wetten, des Jebsen, des Elsässer und anderer heute noch bis auf Karibik-Inseln verstreuter oder im Nahen Osten versackter patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes.
Haben Sie schon gehört? Adorno ist tot. Dem »Spiegel«, dem NDR, dem RBB, dem Gabriel, dem Steinmeier und dem S.-Fischer-Verlag war, der Reihe nach, ein »Genie«, »Welterklärer«, »Weltbürger«, »brillanter Intellektueller«, »zentraler Intellektueller Deutschlands« gestorben. Den Verdacht, das Genie sei vielleicht doch nicht Adorno gewesen, weckten die »Welt«, die »Süddeutsche Zeitung« und die »BZ«, die »den klügsten Mann vom Fernsehen«, »einen grandiosen Fernsehkritiker« und »den letzten Bannerträger des Bildungsfernsehens« begruben. Mit 60 Jahren an Krebs zu sterben, ist kein Vergnügen, und dass es einen so netten Plauderer und zwischenzeitlichen konkret-Autor wie den Roger Willemsen getroffen hat, hörte man nicht gern. Ihn darum aber posthum zum Genie befördern? Eine rhetorische Frage und leicht zu beantworten: Wenn der Tote ein Genie war, kriegen die Betriebsnudeln ein bisschen von dem Glanz ab, den sie ihm verleihen. Sogar die Sozialdemokraten vom »Neuen Deutschland«, die sich dem Betrieb mit der Zeile empfehlen: »Der Gelehrte des Genusses – Zum Tod des Welt und Seelenreisenden Roger Willemsen«.
Bevor der Gelehrte seiner Karriere die entscheidende Wendung gab, hatte er 1990 in dem Buch Kopf oder Adler. Ermittlungen gegen Deutschland geschrieben, »dass die auflagenstarke deutsche Publizistik – von konkret und ›Titanic‹ abgesehen – weitgehend harmoniebedürftig ist und sich in puncto Kritik nie viel hat zuschulden kommen lassen. Die veröffentlichte Meinung ist von einer Einförmigkeit, die politische Kritik von einer Ausgewogenheit, die populäre Satire von einer Harmlosigkeit, die in Europa kaum ihresgleichen finden.« Und dann entschloss er sich, ein »Genie« der Harmlosigkeit zu werden.
Richtig/falschstellung: Im Beitrag »Same procedure« aus Heft 2/16 resümiert unser Autor Gregor Kritidis die Politik der Syriza-Regierung in Griechenland. Im Text war ursprünglich davon die Rede, dass es sich bei den 2012 gegründeten Unabhängigen Griechen (Anel), die bis August 2015 an der Regierung Tsipras beteiligt waren, um eine »Linksabspaltung« der konservativen Nea Dimokratia handele. Die Redaktion, in der Annahme, dass es sich bei dieser Einordnung der homophoben, rassistischen und antisemitischen Anel um einen Links-Rechts-Dreher des Autors handelte, korrigierte Links-in Rechtsabspaltung. Gregor Kritidis besteht nun auf einer Richtigstellung: »Der rechte Flügel der Nea Dimokratia steht (und stellt sich selbst) ganz bewusst und offensiv in die Tradition der Kollaboration mit dem deutschen Faschismus und der Sicherheitsbataillone des Bürgerkrieges.« Demgegenüber habe sich Anel mit der Wahl ihres Gründungsortes Distomo – dort hatte es 1944 ein Massaker der Wehrmacht gegeben – und ihrer Kritik am deutsch-europäischen Spardiktat ausdrücklich in die Tradition des Widerstands gegen die deutsche Besatzung gestellt.
Da es der Redaktion widerstrebt, eine Partei vom Schlage der Anel mit dem Attribut »links« zu bezeichnen, reden wir bei dieser Partei künftig schlicht von einer »Abspaltung« der Nea Dimokratia.