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Meinungsfreiheit vs. Rassismus? Eine Debatte an amerikanischen Unis. Von Chris Hammermann

Von 1980 bis 1988 mussten Studienanfänger an der Universität Stanford (Kalifornien) das Modul »Westliche Zivilisation« besuchen und die Kultur des Westens verstehen lernen. Schwarze und feministische Gruppen kritisierten das Modul, da ausschließlich weiße, männliche Autoren gelesen wurden, was Frauen und Schwarzen signalisiere, nicht dazuzugehören. 1988 wurde es durch ein an Diversität orientiertes Programm ersetzt. Ende Februar 2016 nun hat die Studentenzeitschrift »Stanford Review« dafür plädiert, das Pflichtmodul »Westliche Zivilisation« wiedereinzuführen, um Studenten das kritische Potential westlicher Werte wie etwa der Meinungsfreiheit näherzubringen. Der Vorschlag wurde stark kritisiert. Die Fokussierung auf nur eine Kultur sei rassistisch und ein Rückfall in die achtziger Jahre. Das First-Generation-Low-Income-Partnership enthob einen Studenten seines Amtes, weil er im Verdacht steht, eine anonyme Verteidigung des Vorschlags verfasst zu haben.

Die »Stanford Review« interveniert mit ihrem Vorschlag in der antirassistischen Protestwelle an amerikanischen Hochschulen, die eine heftige öffentliche Debatte losgetreten hat. Seit Winter letzten Jahres ist es an über 70 amerikanischen Universitäten zu Demonstrationen gegen Rassismus auf dem Campus gekommen, sowohl an staatlichen Hochschulen wie der University of Missouri, aber auch an renommierten Privathochschulen wie Yale, Brown, Princeton und Harvard. Die Studenten fordern von den Universitäten, stärker gegen Rassismus auf dem Campus vorzugehen und umfassendere Inklusions- und Diversitätsangebote bereitzustellen. Kritiker werfen ihnen vor, mit der Forderung nach politisch korrekten Sprach- und Verhaltensregeln die Meinungsfreiheit abschaffen zu wollen.

Auftakt der Proteste war eine Demonstration schwarzer Studenten an der University of Missouri im vergangenen Oktober. Bei einer Universitätsparade stoppten sie das Auto des Universitätspräsidenten Timothy Wolfe und verlasen eine Liste rassistischer Vorfälle seit Gründung der Universität. Eine Gruppe weißer Zuschauer brüllte die Demonstranten nieder, Wolfes Fahrer steuerte auf ihre Menschenkette zu und rammte dabei den Studenten Jonathan Butler. Der trat daraufhin in den Hungerstreik, die Studenten errichteten ein Protestcamp und forderten die Entlassung Wolfes, zuletzt kündigte auch das Football-Team an zu streiken. Schließlich trat Wolfe zurück. Das Kuratorium der Universität sicherte zu, binnen drei Monaten neue Stellen für Diversität, Fairness und Inklusion zu schaffen und künftig mehr nicht-weißes Personal einzustellen.

Viele der Demonstranten an der University of Missouri hatten sich zuvor an den Protesten in Ferguson beteiligt, so auch Butler. In der Stadt kommt es immer wieder zu Demonstrationen und Ausschreitungen, seit im August 2014 ein weißer Polizist einen unbewaffneten schwarzen Jugendlichen erschoss. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Kampagne »Black Lives Matter« zu, die auch an vielen Hochschulen aktiv ist. Sie entstand 2013 aus einem Twitter-Hashtag, als Protest gegen die Ermordung eines unbewaffneten schwarzen Jugendlichen durch ein Mitglied einer Nachbarschaftswache. Die Kampagne zählt 28 regionale Gruppen in Nordamerika; zu ihr gehört ein breites, militant agierendes Aktivistennetzwerk. Der Fokus der »Black Lives Matter«-Aktivisten liegt zwar auf rassistischer Polizeigewalt, ihre Ausrichtung ist jedoch intersektional, sie beteiligen sich immer wieder auch an Arbeitskämpfen, Protesten von Frauen, Homo- und Transsexuellen oder eben an den Protesten gegen Rassismus auf dem Campus.

»Black Lives Matter« ist Ausdruck eines wieder stärker werdenden rassistischen Antagonismus in den USA. Nach einer Studie des Webmagazins »Vox« und des Meinungsforschungsunternehmens Morning Consults von 2016 zeigt knapp die Hälfte der weißen Amerikaner eine stark autoritäre Haltung, zwei Drittel davon wählen Republikaner. Seit den Sechzigern spricht deren Wahlwerbung gezielt weiße Ängste vor »Rassenunruhen« an. Die Partei begann damals, sich als Hort traditioneller Werte darzustellen und Law-and-Order-Politik zu propagieren, was sie für autoritäre Charaktere attraktiv macht. Ihr Messias heißt heute Donald Trump, der gegen alles wütet, was dem weißen Mann Angst macht: Terroristen, syrische Flüchtlinge, mexikanische Migranten, abtreibende Frauen, ein schwarzer Präsident und die schwarze Protestbewegung »Black Lives Matter«.

Gleichzeitig lässt sich ein Linksruck der amerikanischen Jugend beobachten. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vom Januar 2016 sympathisieren die unter 30jährigen als erste Generation Amerikas mehrheitlich mit sozialistischen Vorstellungen. Bei der jährlichen, landesweiten Studie des Higher Education Research Institute 2015 verortete sich ein Drittel der Studienanfänger »liberal« oder »far left«, nur ein Fünftel sah sich als »conservative« oder »far right«. Fast ein Zehntel der Studenten gab an, sich eventuell an Hochschulprotesten zu beteiligen, so viel wie noch nie in den letzten 50 Jahren. Am höchsten lag die Quote bei schwarzen Studenten: 16 Prozent.

Das Vokabular der Studentenproteste stammt überwiegend aus der Psychotherapie, wie der in den Medien prominente Begriff »Mikroaggression«. Darunter werden Gesten, Aussagen oder Arrangements verstanden, die gegenüber einer marginalisierten Gruppe ausgrenzend, abwertend oder beleidigend wirken. Mikroaggressionen wären etwa ein verächtlicher Blick auf Haut zeigende Frauen oder das Wort »Neger«. Damit eng verwoben ist die Forderung nach Triggerwarnungen. Trigger sind Erfahrungen, die an ein vergangenes traumatisches Ereignis erinnern oder (re-)traumatisierend wirken könnten, wie die Darstellung von Vergewaltigungen oder rassistischer Gewalt. Eine Triggerwarnung macht, etwa zu Beginn eines Textes, auf potentielle Trigger aufmerksam, häufig auch auf die Wiedergabe mikroaggressiver Sprache.

»Privileg«, ein weiterer zentraler Begriff der Proteste, kommt aus der intersektionalen Theorie, die das Zusammenspiel verschiedener Herrschaftsformen untersucht. Privileg bezeichnet dort die Kehrseite eines Herrschaftsverhältnisses, also sowohl einen direkten Profit aus diesem als auch einfach das Glück, von bestimmten Herrschaftsformen nicht betroffen zu sein. Weißes Privileg wäre demnach, von einem Vermieter bevorzugt zu werden, der einer Familie Müller mehr Zuverlässigkeit zutraut als einer Familie Mbembe. Mit dem Privileg schwinde auch die Empathiefähigkeit: Wenn ich als Weißer im Alltag nie rassistisch angegangen werde, habe ich einen anderen affektiven Zugang zu Rassismus, da ich ihn nie am eigenen Leib erfahren habe. Häufig fordern die Demonstranten darum, weiße Privilegien zu reflektieren oder als Weißer gleich gar nicht über Rassismus zu reden, sondern zuzuhören.

Begriffe wie Mikroaggressionen und Privilegien eignen sich zwar durchaus für eine mikrologische Analyse von Herrschaft. Auch vermag die Reflexion auf Privilegien blinde Flecken und reaktionäre Momente linker Politik aufzuzeigen, etwa, dass die Linken blind gegenüber ihrem eigenen Antisemitismus sind und dass die Deutschen bis heute materiellen und moralischen Profit aus der Shoah schlagen. Allerdings ist die intersektionale Begriffsbildung selber anfällig für antisemitische Ressentiments. Antisemitismus wird in diesem Kontext meist unter Rassismus subsumiert, dieser aber primär als auf Hautfarbe bezogen gedacht. Antisemitismus fällt so komplett aus dem Blick. Europäische Juden gelten dann als weiß, Araber als farbig, und Zionismus kann so nicht als jüdische Befreiungsbewegung begriffen, sondern muss als rassistische Herrschaft Weißer gedeutet werden. Als Konsequenz einer intersektionalen Analyse drängt sich dann antizionistische Politik auf. Tatsächlich pflegen Aktivisten von »Black Lives Matter« gute Kontakte zu den Students for Justice in Palestine, die Israel als Apartheidstaat halluzinieren. Dennoch wäre eine vernünftige Kritik der Intersektion von Rassismus, Geschlecht, Klasse und Antisemitismus denkbar, sofern sie das antisemitische Ressentiment in seiner Spezifik begreifen würde.

Auffällig ist der therapeutische Jargon der Proteste, stets fordern die Demonstranten ein Recht auf Wohlbefinden ein. Schon seit Jahren werben immer mehr US-Hochschulen mit einem angenehmen, spaßigen Campus-Klima. Dennoch beklagen viele Studenten psychische Leiden. 2014 gaben bei einer Studie der American College Health Association 54 Prozent der Befragten an, im letzten Jahr starke Angstzustände gehabt zu haben. Es ist also nur konsequent, wenn die Studenten dieses Werbeversprechen einklagen, wie es ein Demonstrant in Ithaca auf den Punkt brachte: »Als Kunden beschweren wir uns, wenn uns das Produkt nicht gefällt.« Die Forderung nach Schutzräumen und Triggerwarnungen beabsichtigt dabei eine behütete Atmosphäre, aus der alles Anstößige und Provokante verbannt ist. Erfolgreich ist das, weil gerade durch Social Media gestützte Proteste hohen Druck auf Hochschulen ausüben können, die sich über das Image eines wohligen Campus-Lebens vermarkten.

Sprach- und Verhaltensregeln, mit Strafen bei Verstößen, können durchaus sinnvolle Maßnahmen gegen autoritäre Rassisten sein. Auch Adorno empfahl in den Sechzigern, die Staatsgewalt gegen antisemitische Versammlungen einzusetzen, um den autoritären Charakteren zu zeigen, dass die reale Autorität gegen sie steht. Allerdings lässt sich eine solche Einschränkung der Meinungsfreiheit genauso gut gegen marginalisierte Gruppen wenden. Ann Arbor führte 1987 eine Sprachregelung ein, die nach 18 Monaten für verfassungswidrig befunden wurde, vorher jedoch ganze 20 Anwendungen wegen gegen Weiße gerichteter »beleidigender Sprache« gefunden hatte. Ein schwarzer Student erhielt etwa ein Disziplinarverfahren, weil er einen Kommilitonen als »white trash« bezeichnet hatte.

Die öffentliche Debatte in Amerika kreist derweil um einen Scheinwiderspruch zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit einerseits, dem Kampf gegen Rassismus andererseits. Das Problem liegt jedoch schon im Recht auf Meinungsfreiheit selbst begründet. Dieses schützt ja auch die autoritäre Rede und ebenso die Forderung, die Meinungsfreiheit abzuschaffen. Wollte man diese aber schützen, indem man antiliberale Meinungen verböte, wäre man selbst antiliberal. Die Ursache dieses Konfliktes sah Adorno in der unvernünftigen Einrichtung der Gesellschaft. Handeln die Subjekte nur rational in bezug auf ihre partikularen Ziele, so kann man von einer öffentlichen Debatte kaum erwarten, dass dabei ein objektiv vernünftiges Ergebnis herauskommt. Statt dessen setzt die Meinung sich durch, hinter der die stärkere Gewalt steht. Der militante, zensorische Charakter der Hochschulproteste, den gerade Kritiker häufig als Generalangriff auf die Freiheit darstellen, ist also vor allem eins: pragmatisch.

 

Chris Hammermann schrieb in konkret 5/15 über Black Metal

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