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Good vibrations

Von Svenna Triebler

»Ich statuiere mit Kant nicht mehr als zwei Kategorien unseres Denkvermögens, nämlich Zaum und Reit – ich wollte sagen: Raut und Zeim.«

Johann Georg August Galletti

Wenn eine Meldung aus der Wissenschaft es fertigbringt, Horst Seehofer für einen Tag aus den Schlagzeilen zu verdrängen, muss es sich schon um eine ziemlich bedeutende Entdeckung handeln; ob der im Februar bekanntgegebene Nachweis von Gravitationswellen es allerdings auch dann als Hauptnachricht in die »Tagesschau« geschafft hätte, wenn nicht deutsche Forscher an dem Projekt beteiligt wären, darf bezweifelt werden.

Die Nachricht hat die Aufmerksamkeit aber verdient, auch wenn nicht auf den ersten Blick einleuchten mag, was an einem Phänomen so sensationell sein soll, das eine Messapparatur um das Tausendstel des Durchmessers eines Wasserstoffkerns erzittern lässt. Denn Gravitationswellen sind nicht einfach irgendein Herumgewackel, sondern diejenige Konsequenz der Relativitätstheorie, die sich – bis jetzt – am hartnäckigsten ihrer Beobachtung entzog.

Die Erkenntnis Einsteins, dass Raum und Zeit nicht unabhängig voneinander existieren und dass die Gravitation sich als Krümmung dieser Raumzeit beschreiben lässt, ist nicht gerade intuitiv begreifbar; für das weitere Verständnis reicht es aus, sich das häufig zur Verbildlichung herangezogene Gummituch vorzustellen, das von verschieden massereichen Körpern unterschiedlich stark gedehnt wird.* Und eben in Schwingung versetzt, wenn diese Massen einer Beschleunigung unterworfen sind – so entstehen die nun endlich dingfest gemachten Gravitationswellen. Die bewegen sich also nicht nur durch den Raum, wie man es zum Beispiel von Schallwellen kennt. Was sich da bewegt, ist die Verformung des Raums selbst. (Und natürlich auch der Zeit: Dort, wo ein Wellenkamm ankommt, vergeht sie ein kleines bisschen schneller, im Wellental dementsprechend etwas langsamer. Als Entschuldigung fürs Zuspätkommen taugt das aber nicht, denn diese Zeitbeben sind winzig. Selbst eine auf dem Erdboden und eine auf einem, sagen wir, 100 Meter hohen Turm plazierte Uhr würden wegen der unterschiedlich starken Erdanziehungskraft stärker voneinander abweichen.)

Sollten Sie sich jetzt etwas wacklig fühlen, liegt das mit größter Sicherheit nicht an den Gravitationswellen. Die Raumzeit ist nicht wirklich so elastisch wie eine Gummiplane (soviel zu anschaulichen Vergleichen), es müssen schon sehr große Massen sehr heftig an ihrem Gefüge rütteln, um Erschütterungen zu erzeugen, die mit irdischen Mitteln überhaupt nachweisbar sind.

So zum Beispiel, wenn ein Stern als sogenannte Supernova explodiert oder wenn sich zwei massereiche Körper eng umkreisen oder sogar ineinanderstürzen. Genau dieses Schicksal hat offenbar vor 1,3 Milliarden Jahren zwei Schwarze Löcher ereilt (das sind jene berüchtigten Schwerkraftmonster, denen nicht einmal das Licht entkommt); die Erschütterungen dieser kosmischen Kollision erreichten die Erde im vergangenen September und damit just zu dem Zeitpunkt, als mit den runderneuerten Ligo-Detektoren in den USA endlich eine ausreichend empfindliche Messtechnik bereitstand.

Oder besser gesagt: ausreichend unempfindliche. Die Detektoren in Hanford (Washington) und Livingston (Louisiana) sind zwar schon seit 2002 in Betrieb, der größte Teil dieser Zeit diente jedoch erst einmal dazu, alle denkbaren Störquellen zu eliminieren, bis man schließlich Fehlalarme durch Ärgernisse wie Straßenverkehr, weit entfernte Erdbeben oder die Brandung des rund 50 Kilometer von der Anlage in Livingston entfernten Golfs von Mexiko ausschließen konnte.

Ein Jahrhundert hat es von der Vorhersage der Gravitationswellen bis zu ihrem Nachweis gebraucht (zum Vergleich: Die Suche nach dem auch nach physikalischen Maßstäben weit exotischeren Higgs-Boson dauerte »nur« knapp 50 Jahre), und allein schon dieser Erfolg ist eine wissenschaftliche Sensation für sich. Der ganze Aufwand dient aber nicht allein dazu, dass sich Forscher gegenseitig auf die Schultern klopfen und vermutlich bald eine hübsche Medaille beim schwedischen König abholen können, sondern hat auch einen nicht minder sensationellen Nutzen für die Astronomie: War diese für ihre Beobachtung des Weltalls bisher auf Licht und sonstige elektromagnetische Strahlung angewiesen, eröffnen ihr die Gravitationswellen nun einen Blick auf Vorgänge, die ihr mit den herkömmlichen Methoden verborgen bleiben; der Nachweis des großen Rumms im All war zugleich auch die erste praktische Demonstration.

Schließlich ist die Entdeckung der Gravitationswellen auch noch der letzte abgehakte Punkt auf der »Einstein-Checkliste« von Vorhersagen des großen Physikpromis: Die Ablenkung des Lichts durch große Massen wurde 1919, vier Jahre nach der Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie, durch Sternbeobachtungen während einer Sonnenfinsternis nachgewiesen (und Einstein in der Folge zum ersten Superstar der Wissenschaft); die Äquivalenz von Energie und Masse, das berühmte E=mc2 der Speziellen Relativitätstheorie, wurde der Menschheit in Form der Atombombe auf unwiderstreitbare Weise vor Augen geführt; und ohne die Einbeziehung der wohl merkwürdigsten Konsequenz des Raum-Zeit-Kuddelmuddels, dass nicht einmal die Zeit absolut ist, würden GPS-Systeme ihre Nutzer noch zielsicherer in die Irre führen, als sie es ohnehin schon tun.

Als letzter Punkt vor den Gravitationswellen stand auf der Checkliste übrigens das berühmte Einsteinsche Postulat: »Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.« Zumindest die Sache mit der Dummheit darf einige Jahrzehnte nach Inbetriebnahme des globalen Deppendetektors namens Internet als erwiesen gelten.

 

Mit Dank an Olaf Bachmann; etwaige Fehler gehen allein aufs Konto der Autorin.

 

* Da sich wohl niemand eine vierdimensionale Raumzeit (drei Raumdimensionen plus Zeit als zusätzliche Dimension) vorstellen kann, geschweige denn eine gekrümmte vierdimensionale Raumzeit, wird diese durch das zweidimensionale Tuch dargestellt, das in der dritten Dimension verformt wird; es handelt sich also um eine grobe Vereinfachung, die Physiker gar nicht gerne sehen. Wollte man die Sache wirklich akkurat darstellen, käme man leider nicht ohne partielle Differentialgleichungen mit vier Variablen aus, die nicht unbedingt für ihre Übersichtlichkeit bekannt sind. 

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