Gespräch mit dem Schriftsteller Hermann Peter Piwitt über die wahren Gründe für das Ende der Gruppe 47 und seine Eindrücke von der berühmten Tagung in Princeton
konkret: In Jörg Magenaus neuem Buch Princeton 66 geht es um die Tagung der Gruppe 47 an der Uni Princeton, USA, im April 1966, an der auch du teilgenommen hast. Nicht teilgenommen haben Heinrich Böll und Martin Walser. Walser, so steht’s im Buch, wollte nicht weg vom Bodensee, und Böll hat aus politischen Gründen abgesagt: Er mochte nicht im Land der imperialistischen Kriegstreiber als Aushängeschild einer Republik dienen, die sich durch die Gruppe 47 fälschlich als Demokratie darstellen wollte. Magenau beschreibt sehr minutiös die drei Tage der Sitzung. Das Ganze läuft zu auf die berühmte Polemik von Peter Handke am dritten Tag. Er ließ sie vom Stapel, nachdem du einen Text vorgelesen hattest. Handke bezog sich praktisch gar nicht auf deinen Text, sondern lieferte eine Generalabrechnung mit der Gruppe 47. Bevor wir darüber sprechen, wüsste ich gern: Warum bist du überhaupt mitgefahren?
Hermann Peter Piwitt: Ich wollte noch mal umsonst eine Woche in die USA. Eine Woche genügte mir, um mir ein Bild zu machen. Ich bin dann nie wieder nach Amerika. Aber die Gruppe 47 war damals schon außer meiner Reichweite.
Magenau nennt diese Reise der Gruppe 47 einen »Betriebsausflug«. Passt der Begriff?
Nein. Auch wenn diese Handvoll Leute, die diese Gruppe 47 darstellte, durchaus in der Lage gewesen wäre, auch dieses ironische Beiseitetreten zu denken. Das war natürlich eine ungeheure Schmeichelei für eine deutsche Autorengruppe: Zuvor waren sie in Schweden, jetzt in den USA. Und alles bezahlte der Staat oder die Universität, ich weiß nicht genau. Und da sind wir natürlich gleich bei der komischen Seite der Medaille, bei den ganzen Ritualen, die da abliefen. Man durfte zum Beispiel nichts sagen, wenn man oben saß …
Nach dem Vortrag hatte der Autor zu schweigen.
Ja. Diese Gruppe war am Schluss viel zu aufgeblasen … Die große Verlockung, zu Weltruhm zu gelangen, hat sie alle getrieben.
Als Kritiker waren da: Joachim Kaiser, Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek, Walter Jens …
Und Hans Mayer. Sie haben sich diese ganze eitle Bande an Land gezogen, weil die geil darauf waren mitzumachen, und haben dafür in Kauf genommen, dass die literarische Gruppe verschwand. Die Dichter sind ja keine Redner, sie sprachen nicht, sie schwiegen und hörten, was diese fünf »Stars« da verzapften.
Da musstet ihr euch von Oberpfeifen wie Karasek auseinandernehmen lassen. Warum hat euch das nichts ausgemacht?
Was soll man machen? Man kann ja nicht hingehen und die ohrfeigen. In Schweden wurden wir sauer und haben dann auch dagegen angebellt. Aber das war noch zu früh. Der Handke hat das Glück gehabt, dass er den Moment ausgenutzt hat, in dem die ganze Jugendbewegung hinter ihm stand. Und vor der hatten sie alle Angst. Als Handke aufstand, merkte man richtig, wie sie dachten: »Da kommen die Wilden. Jetzt duck dich mal.«
Aber ihr wart doch nur ein paar Jahre älter.
Es war ein ganz klarer Generationsbruch. Da war eigentlich gar nicht zu diskutieren, aber die waren alle kleine Schisser. Und ich wusste gar nicht, woran ich war. Man war sich eigentlich schon einig über das Schicksal dieser Gruppe. Robert Neumann schrieb dann später von einer »Hagel-und Feuerversicherung auf Gegenseitigkeit«.
Du meinst seine Polemik gegen die Gruppe 47 im Mai 1966 in konkret. Worauf Magenau sehr ausführlich eingeht, und zwar nicht eben freundlich.
Ich glaube, dieser Magenau ist ein fürchterlich grämlicher Mensch, der sehr viel Richtiges bemerkt, aber eben nicht drüber lachen kann.
Magenau schreibt: »Hans Werner Richter war gedrückter Stimmung nach der Rückkehr, und dazu noch diese Kopfnervensache, die ihn lahmlegte, als im Mai der Angriff von Robert Neumann in konkret folgte, eine Attacke von links, die an Verlogenheit und Diffamierungsenergie nicht zu überbieten war … (Die zwanziger Jahre waren) Neumanns große Zeit, da kannte er sich aus, und so schrieb er immer noch: verlogen, verdreht, verleumderisch.«
Also, verlogen war da eigentlich gar nichts. Sie waren an ihre Grenzen gestoßen. Und die waren ihnen von diesem Bürschchen gewiesen worden. Sie hatten sich ja ausgetobt wie die Rechtsanwälte in der Französischen Revolution im Parlament. Und sie haben immer das Wort geführt und die anderen zum Schweigen gebracht. Und diesen Moment hat Handke abgepasst. Und ich bin ihm dankbar, dass er da aufgeräumt hat.
Du bist nicht sehr glücklich mit dem Text, den du damals vorgelesen hast.
Nein, ich war damals am Suchen. Es war eine Prosa, die in dieses Milieu passte, aber ironisch geschrieben, nicht für die Gruppe. Und sie haben die Ironie nicht verstanden. Nur Siegfried Lenz sagte einmal beim Essen: »Mir hat Ihr Text gut gefallen. Der war sehr ironisch.«
War Handkes Monolog eine Reaktion auf deinen Text, oder war das vorbereitet? Eine allgemeine Abrechnung?
F. C. Delius sagte mir: »Der muss in der Pause seine Rede geschrieben haben.«
Das eindrücklichste Wort in seinem Monolog lautet »Beschreibungsimpotenz«.
Das ist wirklich Blödsinn.
Das wirft Handke allen anwesenden Autoren vor. Und man könne ja gleich aus dem Bilderduden abschreiben, das sei die gleiche Art Literatur.
Das ist natürlich auch eine Kritik an sich selbst. Da vermisst man das, was man selbst gerne geschrieben hätte, aber nicht zustande bringt.
Magenau nennt das »Autoaggression«.
Ich habe dieses Wort, »Beschreibungsimpotenz «, auch gar nicht verstanden. Impotent, weil man nicht beschreiben kann oder wie ein Wahnsinniger beschreibt und nichts sagt?
Handke soll gemeint haben, meint Magenau, dass die damalige Gegenwartsliteratur nicht in der Lage gewesen sei, Dinge aus der Sprache heraus zu beschreiben, sondern sie ganz platt aufgeschrieben habe. So wie es ein Bilderduden tut.
Da ist auch etwas Wahres dran. Das ist genau das, was wir immer als sogenannten historischen Realismus vermeiden wollten. Und davon war ich bei diesem Text abgerückt;l Kulms deswegen konnte ich mich auch versöhnen mit dem Handke.
Günter Grass soll dann laut Magenau in der Zeitschrift »Sprache im technischen Zeitalter« Handke in »die Rolle des David« gehievt haben, »der mit seiner Steinschleuder den Riesen Gruppe 47 zu Fall gebracht und es damit selbst ›aufs Podest‹ geschafft habe«. Magenau weiter: »So begründete Grass die Legende, Handke habe in Princeton das Ende der Gruppe eingeläutet.« Nach Magenaus Deutung ist also Grass daran schuld, dass heute alle Welt glaubt, Handke habe die Gruppe 47 zugrunde gerichtet.
Nein, Handke hat vielmehr einen taumelnden Gegner im richtigen historischen Moment bei seinen Unverschämtheiten erwischt.
Magenau behauptet, die Gruppe 47 habe sich deswegen überlebt, weil die Bundesrepublik eine andere geworden sei.
Das war sie ja noch nicht.
Die BRD sei an einem Punkt angelangt, wo sie die Adenauer-Ära hinter sich hatte und sich vorbereitete auf die 68er.
Vorbereitet war zum Beispiel das Engagement von Grass für Willy Brandt. Und das war nicht untollkühn damals. Und dass in diese Lücke die Jugendbewegung strömte und Putz machte – und das nicht nur am elterlichen Abendbrottisch –, das hatten wir ja alle mitgekriegt. Aber die Gesellschaft hatte sich noch nicht gewandelt, das musste angeschoben werden. Und da schoben viele dran.
Es hat aber schon eine Zeit gedauert, bevor freiere Luft wehte. Und das Fenster wurde ja auch gleich wieder zugemacht. Und das kommt bei Magenau nicht vor. Magenau ist einer von jenen, die fest überzeugt sind, dass mit 1968 die Bundesrepublik ein freieres, offeneres, hochdemokratisches, vorbildliches Land geworden ist. Deshalb habe die Gruppe 47 keine politische Notwendigkeit mehr besessen, weil die Bundesrepublik, gegen die sie mal antrat, nicht mehr dagewesen sei. Und die Kritikerstars, die das Ganze an sich gerissen und damit auch kaputtgemacht haben, die kommen bei Magenau am Ende doch alle recht gut weg.
Das sind ja seine Kollegen.
Zum Schluss schreibt Magenau: »Ohne die Literatur der Gruppe 47 … wäre die Bundesrepublik kaum das Land geworden, das allmählich über die autoritäre Adenauer-Ära hinauszuschauen begann.« Hat die Gruppe 47 so viel bewirkt?
Zumindest hat sie das Fenster aufgehalten, so dass dieser Blick möglich war. Aber ich hatte ja auch den Eindruck, als ob sie auch das Gewissen der Nation, wo es eigentlich kein anderes Gewissen mehr gab, darstellte. Zunächst auch mit Überzeugungskraft. Aber all diese gutgemeinten und im ersten Moment plausiblen Reformversuche müssen so enden. Warum werden die alten Leute immer so blöde und können nicht aufhören? Als ob da oben etwas aussetzte.
Du meinst Walser und Grass. Dass die nicht zum richtigen Zeitpunkt gesagt haben: Nun reicht’s, ich halte die Fresse. Aber warum hast du als junger Autor den Kontakt zur Gruppe 47 gesucht? Weil sie sich klar positionierte gegen den Muff der Fünfziger?
Natürlich war das eine Instanz für einen jungen Autor. Es gab wenige wie den Brinkmann, die immer nur geflucht haben, aber Brinkmann hat auf alles geflucht. Der wurde auch nie eingeladen und hat sich nie beworben. Man ging in Berlin mit den Älteren flippern oder trinken, und dann fiel man mal auf, nebenbei, durch eine Erzählung oder was weiß ich. Dann kamen die ersten Einladungen, und ich merkte, dass die auch nur mit Wasser kochten. Ich war viel mehr als Brinkmann noch auf der Suche nach mir selbst. Für den schlugen ’68 alle Türen auf. Aber für mich wurden sie nur einen Spalt weit aufgemacht. Und deswegen habe ich auch den Kontakt gesucht. Er wurde mir nicht angeboten.
Magenau schreibt: »Die Einladung war wie eine offizielle Beglaubigung für die Jüngeren in ihrer prekären Berufsidentität, die Eintrittskarte in den Literaturbetrieb war sie allemal.«
Letzten Endes haben mir die Einladungen mehr geschadet als genützt, anschließend hatte ich ja verschissen. Aber es gehörte dazu. Warum sollte man diese Hürde nicht nehmen? Die Gruppe 47 ist auch darum nicht mehr vorangekommen, weil sie mit den jüngeren Autoren überhaupt nichts anfangen konnte. Etwa Nicolas Born oder Ror Wolf, der der Größte ist überhaupt.
Und bei Magenau überhaupt nicht vorkommt.
Wolf ist ja vollkommen durchgefallen, 1963. Der Grass mochte ihn nicht. Das war eine Art zu schreiben, die denen völlig missfiel. Gegenwartsbezug musste hergestellt werden, möglichst realistisch.
Ist die Gruppe denn wirklich so wichtig gewesen, wenn sie an solch bedeutenden Autoren ignorant vorbeigelaufen ist? Ich habe ja generell ein Misstrauen gegen solche Gruppen und Veranstaltungen. Wenn ich mir anschaue, wer etwa heute beim Ingeborg-Bachmann- Preis rausmarschiert als Preisträger: Einer von zehn bleibt im Geschäft, die anderen neun werden sofort wieder vergessen. Sind solche Dinge am Ende vielleicht nur dafür gut, dass Autoren, die sich gut leiden mögen, einmal im Jahr sehen können?
So hat es angefangen, ja.
Im schlechten Falle aber wird es etwas, wo die Kritiker und die schon Eingeführten sich spreizen können auf Kosten der jüngeren Autoren, die sie dann fertigmachen können. Magenau jedoch ist überzeugt, dass die Gruppe 47 vielen jungen Autoren eben auch Chancen geboten habe.
Nein, das hat sie eben nicht gemacht.
Ihr durftet dabei sein!
Und wer sich wohl verhielt, wurde belohnt.
Es gibt da einen Satz von Magenau, den kann ich dir nicht ersparen: »Es ist gar nicht zu ermessen, welche Veränderungskraft in der Literatur steckt, und zwar in den Büchern viel mehr als im verquälten Engagement der Autoren.« Das stinkt doch!
Er kann genauso sagen: Veränderungskraft hin zu Folter und Mord.
Bei all meiner Wertschätzung für Literatur habe ich ihr nie so etwas zugetraut. Die Veränderungskraft steckt doch nicht in der Literatur. Die steckt bestenfalls in den Lesern.
Ja, oder durch Glücksfälle auch mal in den Texten. Handke war so ein Glücksfall. Vielleicht war auch Die Blechtrommel ein Glücksfall. Aber wohin hat denn das geführt? Willy Brandt wurde Kanzler. Damit war er weg und machte Außenpolitik. Also die einzige Politik, die er machen durfte.
Gespräch: Kay Sokolowsky
Jörg Magenau: Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Klett-Cotta, Stuttgart 2016, 223 Seiten, 19,95 Euro