Deutschland den Deutschen!«, krähen sie – aber was ist das, ein Deutscher? Ein Mensch mit deutschem Pass? Für einen Nazi gewiss nicht. Ein Germane? Und das wäre? Eine Mixtur aus Helvekonen (Wohngebiet: Oder), Agradingun (Weser), Boiovaren (Isar), Chatten (Main), Sorben, Kaschuben, Wenden, fünf Dutzend weiteren unaussprechlichen Stämmen, von Römern, Hunnen, Slawen, die in zwei Jahrtausenden seit der Schlacht im Teutoburger Wald in Hass und Liebe übereinander hergefallen sind? Und das nicht nur in der Gegend um das zeitweilige »Gorl-Morx-Stodt«, wie es im Idiom der Ureinwohner hieß, bis eine Mehrheit dafür stimmte, zum alten, vom obersorbischen »Kameniza« abgeleiteten echt deutschen »Chemnitz« zurückzukehren. Das war 1990 und wurde in konkret vom Juli jenes Jahres als Menetekel mit der Frage bedacht: »Wen freut der Gedanke, dass dieses Kaff wieder den zu ihm passenden Namen trägt, nicht?« Muss ein interessantes Blatt sein, nicht zu vergleichen mit … (bitte ausfüllen).
Vor Jahren war er beleidigt vor das Landgericht Köln gezogen, weil konkret ihn mit Tucholskys Titel »Emmentaler Faschist« belegt hatte. Nun ist der Roger Köppel, Chefredakteur einst von Springers »Welt«, heute der Züricher »Weltwoche«, Nationalrat der völkischen SVP, als Freund ihres gesunden Volksempfindens Lieblingsgast aller Maisch- und Plasberger, mit dem braunen Mob durch Chemnitz marschiert, nachdem er sein Emmentaler Publikum im Züricher Marriott-Hotel mit der Frage entzückt hatte:
Kennen Sie die drei gefährlichsten Worte der deutschen Sprache? »Wir schaffen das!« Das sind die drei gefährlichsten Worte der deutschen Sprache. Und ich kann Ihnen sagen: Wenn ich oder irgendein Schweizer Politiker jemals sagen sollte: »Wir schaffen das!«, dann verriegeln Sie sofort die Türen, verstecken Sie Ihr Geld und bringen Sie sich in Sicherheit!
»Wäsche von der Leine, die Zigeuner kommen«! So haben sie ihr Volk immer aufgehetzt, die Köppels. konkret bleibt nichts übrig, als klein beizugeben und das Wort »Emmentaler Faschist« mit dem Ausdruck größten Bedauerns zurückzunehmen. Wegen unzulässiger Beschönigung.
Eine Überraschung der Art, die ein Überraschungsei bietet, ist die Nachricht, dass die Leute von konkret nicht in allem einer Meinung sind. Auch über den »Umgang« mit jenen asozialen Medien, die sich »neu« und »sozial« nennen, Facebook, Twitter, und wie das Zeug so heißt, sind sie uneins. Die einen nutzen sie als Werbemittel für Zeitschrift und Bücher, als Anzeiger von Veranstaltungen und Bestelladresse, andere als Briefschlitz für Mitteilungen und Quelle von Hinweisen. Einer macht auf Avantgarde: Er nimmt für sich die Jahre vorweg, in denen Menschen, wenn es dann noch etwas geben sollte, was Zivilisation genannt werden könnte, als Leute von Geist und Geschmack sich dadurch erweisen werden, dass so was wie ein Smartphone ihnen Hekuba ist, ohne dass sie googeln müssten, was das nun wieder für eine japanische Vorspeise ist. Er hat beschlossen, dass Facebook ihn am Geteilten liken kann und er keine Meinungsäußerung zur Kenntnis nimmt, die ihn nicht als Brief über das Postfach des Verlags oder als E-Mail über redaktion@konkret-magazin.de erreicht. Weiß’ Bescheid?
Im Oktober erscheint die Jubiläumsausgabe von Horst Tomayers legendärem Gedichtband German Poems in der Reihe konkret texte (siehe Anzeige S. 37). Das Buch ist über den Verlag (verlag@konkret-magazin.de), im Buchhandel oder über unsere Website (konkret-magazin.de) erhältlich. Am 1. November, zu Tomayers 80. Geburtstag, verkünden Marit Hofmann, Christoph Hofrichter und Fritz Tietz um 20 Uhr in Hamburg, Nachtasyl im Thalia-Theater, Alstertor 2, das Wort Hottes. Fünf Gedenkradfahrer sind bei der diesjährigen Horst-Tomayer-Gedenkradfahrt von Hamburg nach Berlin am Ziel angekommen. Die 6. Tomayer-Gedenkradfahrt findet vom 23. bis 25. August 2019 statt.
Mira Landwehr erklärt am 1. Oktober in Hannover, UJZ Kornstraße, Kornstraße 28–32, warum Tierliebe und Menschenhass so nah beieinander liegen und warum Veganer/innen eine auffallende Affinität zu rechter Esoterik und Verschwörungstheorien haben. Weiterer Termin: 20. Oktober, Berlin, 19 Uhr, New Yorck im Bethanien, Mariannenplatz 2b.
Korrektur: In der September-Ausgabe hat sich ein Fehler in Matthias Beckers Kulturkolumne (»Der große Bluff«, S. 41) eingeschlichen: »Eine große Umfrage von ›Nature‹ ermittelte jedoch vor zwei Jahren, dass etwa zwei Drittel der befragten Wissenschaftler ihre Experimente nicht mit den gleichen Ergebnissen wiederholen konnten. Die Hälfte scheiterte daran, ihre eigenen Ergebnisse mit dem gleichen Versuchsaufbau zu reproduzieren.«
Richtig wäre gewesen: Zwei Drittel der befragten Wissenschaftler scheiterten daran, die Experimente anderer Wissenschaftler mit den gleichen Ergebnissen zu wiederholen. Die Hälfte scheiterte an der ergebnisgleichen Wiederholung der eigenen Experimente.
Relaunch: Neues Design – Niki Bong (verantwortlich); neuer Preis – das Kapital (verantwortlich).