Leo Fischer über den Fall Uwe Tellkamp
Wenn man zusammenfasst, was man zuletzt über Meinungsfreiheit gelernt hat, dann sieht deren perfekte Verwirklichung in etwa so aus: Alle dürfen stets alles sagen, jede Bühne steht jedem offen, ohne Redaktion, Moderation. Egal, wie grässlich oder töricht, niemand darf darauf reagieren oder es kritisieren, ja, Meinungen dürfen sich nicht einmal aufeinander beziehen, da das wiederum die Meinungsfreiheit beschränkte. Danach ist donnernder Applaus vorgeschrieben – man applaudiert ja nicht der Meinung, sondern dem erhebenden Faktum, in einem Land mit Meinungsfreiheit zu leben. Wer das nicht akzeptiert, macht die Radikalen stark und ist selbst ein Radikaler.
So oder ähnlich verwirrt las man es im Fall Tellkamp pressauf, pressab. Stein des Abstoßenden war wie immer nicht das nationalkonservative Geplapper des Uwe Tellkamp selbst – über dessen Ansichten ist man seit knapp 15 Jahren informiert, wenn auch vielleicht nicht im eigenen Haus –, sondern über die Mitteilung Suhrkamps, des Verlags der Autoren, dass Meinungsäußerungen von Autoren nicht die des Verlags seien. Am drolligsten geriet dabei die Reaktion von »Welt«-Chef Poschardt, der Suhrkamp Opportunismus vorwarf – dies vom Schriftleiter einer Zeitung, die jeden Tag aufs neue drauf achtet, den AfD-Teil ihrer Leser nicht zu vergrämen. Aus Ärger, als Literatursternchen der Neokons aus den Schlagzeilen zu geraten, warf wiederum Simon Strauß in der »FAZ« Tellkamp vor, nicht patriotisch genug zu sein, weil er immer noch von Ostdeutschland rede: »Ist dafür vor 29 Jahren die Mauer gefallen, wurde dafür das symbolische Risiko eingegangen, den Bundestag nach Berlin zu verlegen …?« Tilman Krause hingegen fieberte in der »Welt« von einem »linken Mainstream« (in einem seit 2005 konservativ regierten Land) und ließ im Brodeln seiner Wut das Argument gänzlich verkochen: »Sie bringen in ihrer ordnungshüterhaften Spießigkeit den Verlag um den letzten Kredit eines irgendwie aufmüpfig gearteten Unternehmens, den er bei gewissen Altlinken noch gehabt haben mag.« Wenn er den Verlag eh nicht mehr ernst genommen hat, warum regt er sich dann auf?
Nein, für alle diese Krauses und Straußes ist das eigentliche Skandalon, dass ihnen noch jemand widerspricht. Und solange man sie damit noch nerven kann, sollte man so meinungs- und gesinnungsprüferisch wie nur irgend möglich auftreten. Am Ende kommt eventuell gar raus, dass sie alle weder Meinung noch Gesinnung haben.