… steht in den Buchbestsellerlisten, in den Musik- und Kinocharts. konkret kümmert sich um die Entsorgung
Thea Dorn: Deutsch, nicht dumpf. Ein Leitfaden für aufgeklärte Patrioten
Knaus, München 2018, 336 Seiten, 24 Euro
Und dann der erlösende Entschluss: Ich les’ es nicht. Ich lass es einfach sein! Das ist mir schlicht zu abgefackt (»Heimat, Leitkultur, Nation: Thea Dorn will diese Themen nicht den Rechten überlassen«), da muss ein Hineinblättern mit spitzen Fingern reichen: »Hat Patriotismus – verstanden als die Haltung, dass ich meinem Land mindestens so viel schulde, wie es mir schuldet – überhaupt noch eine Chance in Zeiten, in denen es von jedem Funkmast zwitschert: ›Ich bin doch nicht blöd!‹?«
Der Slogan ist zwar schon etwas älter, und vom Funkmast zwitschern längst ganz andere Sachen; aber wenn schon oll, dann richtig, und leider sind die Leute unterm Funkmast ja blöd genug, Dame Dorns aufgeklärt patriotische Altkleidersammlung binnen Tagen in die zweite Auflage zu kaufen. »Dies Land ist unser Land«, sang Väterchen Degenhardt, und das war nicht patriotisch gemeint, sondern als Aufforderung, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen: »Ob ich es liebe, weiß ich nicht. Ich lebe hier und lebe gern, schon weil die andren Vaterländer auch bloß Vaterländer sind.« Heute ist das ubiquitäre »wir« das vaterländische der Butterräuber und soll Nation unverhohlen als »Solidaritätsgenerator« (Herfried und Marina Münkler, zit. nach a. a. O.) dienen, womit freilich alles gesagt ist. »Patriotismus – warum wir ihn brauchen« (Dorn): darum.
Schon Tucholsky wollte die Heimat nicht den »nationalen Eseln« überlassen, denn er liebte sein Deutschland »aus tausend Gründen, die man nicht aufzählen kann, die uns nicht einmal bewusst sind und die doch tief im Blut sitzen«, und da fangen die Probleme halt an; und fingen sie bekanntlich damals schon. Statt also 334 Seiten (bis zum Ende mit Nationalhymne) an Überlegungen zu wenden, wer und was »wir« ist – Polt: »Ich nicht!« – und ob der Heimat famos »weltoffene Liberalität und Zivilität« (Klappe) denn ohne festen Halt in »unseren kulturellen, historisch gewachsenen Besonderheiten« (Hartz IV, NSU, besonders schlecht angezogen besonders Israel kritisieren) gedacht werden kann, hier die Empfehlung, auch diese Liebe als Privatsache zu behandeln: Dann kriegt kein »Asylant« aufs Maul, und niemand muss unter verfassungs- und kulturpatriotischen Vorträgen zum Schuldner derer werden, die doch ihrerseits viel zu vielen viel zu vieles schuldig bleiben.
Aber »weil die deutsche Kulturnation der wertvollste deutsche Mythos ist, den es jemals gab«, wie Dorn im »Zeit«-Interview fand, will sie lt. Buch den »syrischstämmigen Förster … im deutschen Wald« begrüßen und wendet alle feuilletonistische Dezenz auf, damit sich ein Publikum, das sich per Faust statt Fernsehen als staatstragend bildungsbürgerliches restituieren soll, auf dem Weg zum vollendeten »Selbstbewusstsein unserer Nation« (S. 291) links vom Pöbel halten kann. Das alte Klassenprojekt der Kulturnation, diese eminente deutsche Erfolgsgeschichte: ich sag’s, es ist zu abgefackt.
Stefan Gärtner