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Volk und Bühne

Wie sozialdemokratische Kulturpolitik die Volksbühne ruiniert hat. Von Felix Klopotek

Das ging sehr schnell: Fast gleichzeitig mit der Entlassung Chris Dercons als Intendant der Volksbühne am 12. April – politisch als einvernehmliche Trennung verkauft – erschienen die Reportagen und Analysen, die sein Scheitern detailliert nachzeichnen. Es scheint so, als wäre dies die eigentliche Königsinszenierung der Volksbühne in dieser Spielzeit gewesen: das Schauspiel der Demontage des wenige Monate zuvor noch wichtigsten und glänzendsten deutschen Theaters und der Totalblamage des einst kühnsten Kurators des Gegenwart. Kaum ist der Skandal offenbar, ist er auch schon aufgearbeitet. Was einen gewissen Beigeschmack hat, bestärkt es doch die Ahnung, dass der Kunstbetrieb in erster Linie um sich selbst kreist. Die wichtigste Einsicht, die man aus dem Theaterdesaster gewinnen kann und die nichts mit den zwar obsessiv diskutierten, aber eher zu vernachlässigenden Lieblingsthemen des Feuilletons, »Was will Berlin? « und »Stadttheater – quo vadis?«, zu tun hat, zeigt sich, wenn man auf Abstand zum Trubel geht. Es ist die Dialektik der Sozialdemokratie.

Dercon mag, was seine Pläne betrifft, etwa den Hangar auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen zu bespielen, blauäugig kalkuliert haben – und es war unseriös, die Pläne weiterzuverfolgen, als ihm sein ursprüngliches Konzept durch Absagen, Hassattacken und Intrigen längst zerbröselt war. Aber: Er hatte ja den Auftrag – nicht bürokratisch abgesegnet, aber politisch artikuliert –, genau diesen Größenwahn, die Verwandlung der Volksbühne in die »neuen_ volksbühnen«, zu verfolgen. »Die Kosten des millionenschweren Umbaus eines Hangars zur Bühne wurden weder von Dercon noch von der Kulturverwaltung kalkuliert«, hat die »Süddeutsche« recherchiert. Er und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock »haben getan, was die Politik von ihnen erwartete. Dafür hat die Politik sie im Stich gelassen.«

Dass die Hauptverantwortlichen, Tim Renner, damals Berliner Kulturstaatssekretär, und der regierende Bürgermeister Michael Müller, beide Sozialdemokraten sind, ist bezeichnend. Zur Erinnerung: Gebaut wurde die Volksbühne 1913/14 von Mitteln, die im Volksmund »Arbeitergroschen« hießen. Träger war der Verein Freie Volksbühne, der volksnahes und arbeiterfreundliches Theater veranstaltete, die Mitglieder des Vereins – Arbeiter – finanzierten den Bau über ihre Mitgliedsbeiträge. Dem lag eine geradezu klassische und über Jahrzehnte hinweg gültige Vorstellung sozialdemokratischer Ökonomie zugrunde: Die Arbeiter brauchen eigene Wirtschaftskreisläufe, in denen das Geld entkapitalisiert ist, es wird für Zwecke eingesetzt, die nicht der Verwertung dienen. Einer dieser Zwecke war die Schaffung von Institutionen, die der Arbeiterklasse zu einer eigenen Kultur verhelfen sollten, die Volksbühne war eine dieser Institutionen.

Diese Vorstellung einer Tausch- und Solidargemeinschaft konnte durchaus radikale Züge annehmen: Nicht wenige linke und marxistische Sozialdemokraten waren ursprünglich gegen die Einführung jeglicher Sozialhilfe, weil diese die Klasse verstaatlichen und sie in Krisenzeiten zu Almosenempfängern herabwürdigen würde. Die Klasse sollte sich ausschließlich selber helfen (auch gedacht als Vorschule der Revolution und der Machtergreifung). Im Prinzip aber – und auf längere Sicht sowieso – blieb diese Vorstellung kleinbürgerlichen Idealen eines gerechten Tausches verpflichtet: Geld soll ein reines Tauschmittel sein, das allen Spekulationen entzogen wird. Es war denn auch ein erzbürgerlicher Theoretiker, der diese Idealismen in ein scheinbar tragfähiges volkswirtschaftliches Konzept übersetzte: der schillernde John Maynard Keynes mit seiner Theorie der Investitionsanreize, die auch auf eine Hebung des Lebensstandards der Arbeiterklasse hinauslaufen. Keynes koppelte das wirtschaftliche Wachstum an die Steigerung des Wohlstands, »übersah« aber, dass der Kern des Wachstums erhöhte Produktivität ist, also die relative Steigerung der Ausbeutung impliziert durch – in the long run – die Ersetzung von Arbeitskraft durch Maschinerie. Der Keynesianismus entkommt nicht der Krisentendenz des Kapitals – staut sie vielmehr dramatisch auf, man lese nach bei Paul Mattick (Marx und Keynes. Die Grenzen des »gemischten Wirtschaftssystems«) oder Amadeo Bordiga (in dem kürzlich erstmals übersetzen Referat »Vulkan der Produktion oder Sumpf des Marktes?«), zwei der wenigen Marxisten, die sich in den fünfziger Jahren an die Kritik der Wohlfahrtsökonomie setzten und für die Siebziger korrekt den großen Crash prognostizierten.

Was das Handeln von Renner und Müller betrifft, so stellt es sich oberflächlich als Verrat an der sozialdemokratischen Tradition der Wohlfahrtsökonomie dar: Aus dem im Kern immer noch biederen Stadttheater sollte ein Spektakel aus Eventräumen werden, in denen keine kohärenten künstlerischen Visionen mehr erarbeitet werden und die hemmungslos monetarisiert sind – ohne erhebliche Sponsorengelder, Vermietungen und ein starkes Zuschaueraufkommen (Dercon träumte von 250.000 Besuchern pro Jahr) wären die »neuen_volksbühnen« nicht lebensfähig gewesen. Und das waren sie dann auch nicht. Monetarisierung, Eventisierung, die Zerstörung von Konstanz, der Erfolg am Markt als entscheidendes Kriterium gesellschaftlicher Anerkennung – man kann das neoliberal nennen. Allein, es ist kein Verrat, sondern liegt in der Krisenlogik des Kapitals. Der Neoliberalismus ist die, wenn man so will: zynische Selbstkritik der Bourgeoisie, die erkannt hat, dass der Keynesianismus keine Krise bannte und die latente noch verstärkte. Renner und Müller haben kulturpolitisch nur das durchgesetzt, was sozialpolitisch 40 Jahre zuvor eingeleitet wurde. Man ist beim Überbau angelangt, die Laufbahn der Sozialdemokratie kommt an ihr Ende.

Und auch das spricht für ihr Ende: Einst sorgten Sozis, denen man viel Geld anvertraute, für handfeste Skandale – legendär: der Untergang des gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmens Neue Heimat, deren Vorstandschef 105 Millionen D-Mark für Privatgeschäfte veruntreute. Groß war der Schaden, lange ist’s her. Heute reicht der Irrsinn gerade noch dazu, ein Theater zu ruinieren.

Felix Klopotek schrieb in konkret 5/18 über Karl Korschs Programmschrift Marxismus und Philosophie

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