Lars Quadfasel über eine Walter-Benjamin-Oper
Kaum ein anderes theoretisches Werk ist in seiner Rezeptionsgeschichte so sehr von der Aura seines Autors geprägt wie das Walter Benjamins. Das von tragischem Scheitern gezeichnete Leben des Denkers, dem es nie gelang, bei einer Schule oder Strömung dauerhaft Unterschlupf zu finden, bietet dafür wohl eine unwiderstehliche Projektionsfläche.
Auch der Komponist Peter Ruzicka und die Regisseurin und Librettistin Yona Kim stellen in ihrer Auftragsarbeit »Benjamin« für die Hamburger Staatsoper das Motiv der Zerrissenheit in den Mittelpunkt: Als wesentliche Antipoden stehen sich der Jugendfreund Gershom Scholem, der Benjamin zu sich nach Palästina holen will, und die lettische Kommunistin Asja Lācis gegenüber, die – als bolschewistische femme fatale in rotem Pailettenkleid – für ihren Geliebten zugleich die Versuchung der Weltrevolution verkörpert. Im Zuge der Handlung freilich verliert sich diese Zentralmetapher (deren bisweilen arg holzschnittartige Durchführung ihrer Tragfähigkeit nicht eben förderlich ist) immer mehr in einer assoziativen Bilderfolge, die teils – wie der Kinderchor in der Ruinenlandschaft – ungemein beeindruckend ist, teils in willkürlichen Zitatreihungen steckenbleibt.
Und wie der Inszenierung, so geht es der Musik. Den an Gustav Mahler und Alban Berg erinnernden Melodiebögen verleiht ihre spätromantische Patina einen ebenso elegischen wie unheimlichen Charakter; von Trillern und Trommelwirbeln interpunktiert, gewinnen sie in ihren besten Momenten jene schockartige Intensität, die nach Benjamin der Wahrheit eigen ist, in schwächeren plätschern sie fast ein wenig vor sich hin.
So bleibt am Ende die Unsicherheit über die eigene Unsicherheit: ob sie das Ergebnis einer genialen Konstruktion mit dreifachem Boden darstellt – oder doch nur den Grenzen des Versuchs geschuldet ist, philosophische Gehalte über die Biografie ihres Schöpfers zu erschließen. Wer es selber herausfinden will (und das sollte man allein schon der grandiosen Sängerinnen und Sänger wegen tun), hat dazu am 14. und 19. Oktober Gelegenheit.
Lars Quadfasel