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AfD-Sturmabteilungsleiter André Poggenburg bekämpft mit Hilfe von CDU und Verfassungsschutz den Linksextremismus in Sachsen-Anhalt.

Von Thorsten Mense

Salzwedel in Sachsen-Anhalt (SA), Anfang Juni. Ein Dutzend Vermummte stürmt nachts mit Baseballschlägern und einer Axt bewaffnet das linke Zentrum »Kim Hubert«, zertrümmert die Inneneinrichtung und attackiert die Anwesenden mit Pfefferspray. Es war ein Angriff mit Ansage. »Nehmen Sie die linksextreme Bedrohung ernst, und beteiligen Sie sich an allen möglichen Maßnahmen, um diese Wucherung am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden.« Dieser Satz stammt – nein, nicht aus dem Bekennerschreiben der nächtlichen Attacke und auch nicht von dem Neonazi, der wenige Wochen vor dem Überfall in Salzwedel mit seinem Auto in eine linke Demonstration gefahren war. Diesen Appell formulierte im letzten Jahr AfD-Rechtsaußen André Poggenburg im Magdeburger Landtag, verbunden mit der Forderung, »linksextreme Lumpen« von deutschen Hochschulen zu jagen und »praktischer Arbeit « zuzuführen.

  Über diese Lumpen werden sicher gerade schon Listen erstellt. Denn der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende ist nach einem kurzen Abstieg in den Status des einfachen Abgeordneten seit Ende Mai Vorsitzender der auf Antrag der AfD eingerichteten »Enquete-Kommission zu Linksextremismus« des sachsen-anhaltischen Landtages. Die Kommission soll Handlungsempfehlungen »für eine erfolgreiche Bekämpfung von Linksextremismus « erarbeiten und zudem untersuchen, »inwiefern linksextremistische Strukturen von öffentlicher Förderung profitieren « und ob es »strukturelle und personelle Überschneidungen« mit den Parteien des Landtags gibt.

  Angesichts des Poggenburgschen Weltbilds wird die Liste potentieller Staatsfeinde lang werden: Anti-AfD-Aufkleber in Berliner U-Bahnen vergleicht er mit den Nürnberger Rassegesetzen, Dietmar Bartsch von der Linkspartei ist ihm ein »Rot-Faschist«, die SPD nennt er eine Partei von »Neokommunisten «, und ein Café, das keine AfDKundschaft möchte, hält er für einen »undemokratischen und faschistoiden Hort«. Viel zu tun im Kampf gegen den Linksextremismus. Aber die CDU hilft ihm dabei gerne. Ihre Landtagsfraktion hat schließlich zu großen Teilen der Einrichtung der Kommission und der Vergabe des Vorsitzes an Poggenburg zugestimmt. Aus purer Überzeugung, denn die AfD war auf die Stimmen der CDU nicht angewiesen.

  Der Werdegang Poggenburgs steht exemplarisch für die Dynamik, mit der sich der #Rechtsruck, den er auf Twitter bewirbt, hierzulande vollzieht: erst mit offen rassistischen und völkischen Kampfansagen über die Stränge schlagen, dann ein klein wenig Schelte aushalten, schmerzlose Kompensation leisten und am Ende gestärkt seine Agenda weiter durchsetzen, ohne dass lästige Skandale ihn daran hindern, da schließlich niemand mehr etwas anderes von ihm erwartet. Der neben Björn Höcke lautstärkste Vertreter des offen völkischen Flügels der AfD ist schon oft einen Schritt zu weit gegangen, indem er ausspricht, was der Rest der Partei zwar denkt, sich aber (noch) nicht zu sagen traut.

  So wurde bereits 2015 in der AfD über den Ausschluss Poggenburgs diskutiert, damals wegen fehlender Distanzierung zu bekennenden Neonazis und der NPD. Im Frühjahr dieses Jahres stand er wieder auf der Abschussliste, diesmal wegen seiner Rede zum politischen Aschermittwoch im sächsischen Nentmannsdorf bei Pirna. Dort hatte er gegen »Kümmelhändler« und »Kameltreiber« gehetzt, die in Deutschland »nichts zu suchen und nichts zu melden« hätten. Sie sollten sich »dorthin scheren, wo sie hingehören, weit hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern«, skandierte er vor einem johlenden, hasserfüllten Mob, der ihm mit »Abschieben!«-Rufen antwortete. Zwar wurde er daraufhin gedrängt, seine Ämter als Landes- und Fraktionsvorsitzender niederzulegen. Die Grenzen des Sagbaren wurden aber ein weiteres Mal nach rechts verschoben.

  Poggenburgs rassistische Tirade erhielt Anfang Juni nun nachträglich die rechtsstaatliche Absolution: Zwei Wochen nachdem die Linksextremismus-Kommission des Landtags ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurde Poggenburg vom Dresdner Amtsgericht vom Vorwurf der Volksverhetzung und Beleidigung freigesprochen. Seine Aufforderung zur ethnischen Säuberung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, so die Meinung der sächsischen Justiz. Auch der Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt sah angesichts der Arbeitslager- und Vernichtungsphantasien Poggenburgs gegenüber Linken keinen Anlass zur Sorge. Im Gegenteil: Offensichtlich allein »von Linksextremisten« werde die AfD »in den Bereich des politisch rechten Parteienspektrums gerückt«, so die einzige Erwähnung der Partei im Verfassungsschutzbericht 2017.

  Nun also kann »Deutschland den Deutschen «-Poggenburg auf Staatskosten Anti- Antifa-Arbeit betreiben. Dass er dies tatsächlich machen wird, kann als gesichert gelten, und das ist wenig verwunderlich. Ebensowenig wie die Tatsache, dass er als AfD-Mitglied völkische Positionen vertritt und sich faschistischer Rhetorik bedient. Der eigentliche Skandal liegt in der Schützenhilfe durch Verfassungsschutz, sächsische Justiz und die Landes-CDU, die Poggenburgs rassistischen Aussagen demokratische Legitimation verschaffen. Vielleicht wollen sie sich in vorauseilendem Gehorsam und mit Blick auf kommende Wahlen dem Volkswillen und seinem Exekutor schon jetzt andienen. Oder die Richter, Beamten und CDU-Abgeordneten wollen selbst endlich wieder ohne Angst vor schlechter Presse und Rassismusvorwürfen auf ihren Festen die »Kümmelhändler« und »Kameltreiber« aus dem Dorf vertreiben, vorerst nur verbal versteht sich.

  Wie auch immer, die CDU-Stimmen für Poggenburg und seine Kommission sind nichts anderes als eine Solidaritätsadresse. Schließlich weiß das zuständige Innenministerium längst sehr genau, wie es um den »Linksextremismus« im Land bestellt ist: Der Verfassungsschutzbericht 2017 rechnet 490 Personen und 398 Straftaten dem linksextremen Spektrum zu. Demgegenüber stehen 1.461 rechtsextreme Straftaten und 1.300 Rechtsextremisten, die Enquete-Kommission nicht gerechnet.

  Die Parteien der schwarzrotgrünen Regierungskoalition, interessanterweise inklusive der CDU, haben erklärt, sie werden »nicht zulassen, dass die Enquete-Kommission als Diffamierungsinstrument gegen demokratische Akteure der Zivilgesellschaft missbraucht wird«, und wollen eine sachliche Arbeit des Gremiums sicherstellen. Dafür sollen die »Feststellungen des Verfassungsschutzes « im Mittelpunkt stehen. Beruhigend klingt das nicht. Man wird sich wohl, sollte die Diskursverschiebung nach rechts anhalten, demnächst auf jene Kommission freuen, die sich unter Mitarbeit der demokratischen Parteien »sachlich« dem Problem der Umvolkung widmet und geeignete Gegenmaßnahmen erarbeitet. Wer dann daran Kritik übt, steht sicher schon längst auf der Liste der linksextremen Lumpen.

Thorsten Mense schrieb in konkret 6/18 über das Heimatkonzept des Heimatministers Horst Seehofer

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