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Elke Wittich über »Zivilcourage« im Netz

Sisyphos wäre heute nicht zu der Sache mit dem Stein verurteilt worden, sondern dazu, im Internet anderen Leuten Manieren beizubringen und sie davon abzuhalten, Hass, Hetze und Lügengeschichten zu verbreiten. Denn normalerweise verläuft ein Aufklärungsgespräch mit jemandem, der von völlig abstrusen Fake News über die von ihm verachtete Minorität überzeugt ist, ungefähr so: Man postet unter dem verbreiteten Beitrag einen Link, in dem die Tatsachen aufgeführt sind, und fasst den Inhalt sicherheitshalber für Lesefaule zusammen. Nehmen wir das nicht totzukriegende Gerücht, Helmut Kohl sei in Wirklichkeit ein Jude namens Henoch Kohn gewesen. Man kann Leuten, die so einen Bullshit glauben wollen, noch so deutlich nachweisen, dass das nicht stimmt (und dass die Geschichte aus Jakov Linds satirischem Buch Der Erfinder stammt) – in aller Regel wird es keine zwei Minuten dauern, bis jemand unter die eindeutigen Ausführungen schreibt, Kohl sei ja in Wirklichkeit ein Jude namens Henoch Kohn gewesen.

Womit wir zu der Initiative #ichbinhier kommen, deren zigtausend Mitglieder Tag für Tag versuchen, Hasskommentare mit Argumenten und dem Hashtag #ichbinhier gemeinsam zu bekämpfen. Sie erhielt kürzlich das Bundesverdienstkreuz, was apart ist, denn wenn Politik und erstaunlich viele Medien nicht jahrelang Verschwörungstheorien für harmlose Spinnereien und auf keinen Fall Nazi gehalten hätten, hätten ihre Verbreiter nicht einen derartigen Durchmarsch hingelegt, für dessen Bekämpfung man heute Bundesverdienstkreuze verteilen müsste.

Der Kommunikationsberater und #ichbinhier-Initiator Hannes Ley erklärt in seinem gleichnamigen Buch (DuMont) jetzt alles, was eigentlich mittlerweile auf den Lehrplänen von achten Klassen stehen sollte. Und das macht er gut und verständlich. Was aber nichts daran ändert, dass das Internet auch durch #ichbinhier kein besserer Ort geworden ist.Weil die Leute Lügengeschichten nicht deswegen glauben, weil ihnen bisher nur niemand die Wahrheit gesagt hat – sie glauben sie, weil sie sie glauben wollen, da sie so wunderbar in ihr rassistisches, antisemitisches, frauenfeindliches, homophobes oder wasauchimmer Weltbild passen. Und weil sie sich in ihren Hassgrüppchen superwohl fühlen. Weil es so ein tolles Gefühl ist, die von denen da oben verschwiegene Wahrheit zu kennen.

Und nein, gegen Profi-Russentrolle und engagierte AfD-Accounts kommt man mit Fakten noch viel weniger an. Die blocken einen nämlich sofort.

Von Elke Wittich

 

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