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Copyright-Cops

Eine Allianz aus konservativen Politikern, Presseverlagen und Konzernen der Kulturindustrie kämpft für die Verschärfung des Urheberrechts.

Von Berthold Seliger 

Was haben CDU/CSU, Rassemblement National (vormals Front national), der Springer-Konzern, Abgeordnete von SPD und Grünen, die Gema, Paul McCartney, Wolfgang Niedecken, der Lobbyverband der deutschen Musikindustrie und Roland Kaiser gemeinsam? Sie alle plädieren für eine Urheberrechtsreform, wie sie im Europäischen Parlament gefordert wird. Die drei Kernstücke dieser Reform sind die Einführung von sogenannten Upload-Filtern, ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger sowie eine deutliche Schlechterstellung von Autoren und Autorinnen, die, sollte das Urheberrechtspaket der EU umgesetzt werden, in Zukunft erhebliche Anteile ihrer Ausschüttungen den Verlagen überlassen müssen.

In der Diskussion stehen die sogenannten Upload-Filter im Mittelpunkt. Internetplattformen sollen dazu gezwungen werden, die Uploads all ihrer Nutzer*innen zu überwachen, um Urheberrechtsverstöße zu verhindern. Dies würde auch zur präventiven Löschung vieler legaler Meinungsäußerungen führen, was gegen geltendes Recht in Europa und den meisten Mitgliedsstaaten verstößt. Daher wenden die Verfechter der Urheberrechtsreform einen Trick an: Sie wollen die Plattformen für etwaige Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer*innen verantwortlich machen. Die Plattformen müssen, wenn es nach den europäischen Copyright-Cops geht, künftig nachweisen, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um zu verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte auf ihren Seiten online gehen.

Das heißt in der Praxis: Die Verbreitung von Links würde in sozialen Medien enorm erschwert; es würde quasi unmöglich gemacht, Bilder in sozialen Netzwerken zu verbreiten; die Bildersuche dürfte innerhalb der EU so gut wie abgeschafft werden. Denn alle Texte, Bilder, Tonaufzeichnungen und Videos, die online gestellt werden, sei es in den sozialen Medien, sei es auf Blogs, müssten vor der Veröffentlichung »gefiltert« werden. Dies kann nur von extrem leistungsstarken Maschinen, also der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI), geleistet werden. Wie derartige Roboter-Zensurmaschinen, die von Facebook oder Youtube längst eingesetzt werden, in der Praxis arbeiten, konnte man unlängst erfahren, als Facebook einen Satz aus der amerikanischen Verfassung als Hate Speech deklarierte und sofort sperrte.

Natürlich können auch die tollsten KI-Maschinen Memes, Zitate oder Parodien nicht identifizieren. Upload-Filter sind unverhältnismäßig, ihre Installation führt zum »privatisierten Aufbau einer flächendeckenden, intransparenten Zensurinfrastruktur, die Grundrechte wie Meinungs-und Informationsfreiheit ebenso gefährdet wie rechtsstaatliche Prinzipien«, fasst Markus Beckedahl, Chefredakteur von »Netzpolitik«, korrekt zusammen. Außerdem können Upload-Filter »nie zweifelsfrei feststellen, ob durch das Hochladen das Recht eines Urhebers verletzt wird«, stellt der Urheberrechtsexperte Thomas Hoeren fest. Zweifelsfrei kann eine Urheberrechtsverletzung nur festgestellt werden, nachdem der entsprechende Inhalt hochgeladen wurde. Dafür reichen bestehende Gesetze völlig aus.

Warum aber kämpft eine denkwürdige Allianz aus Lobbyorganisationen der Kulturindustrie, aus Presseverlagen und konservativen bis reaktionären Politikern für die Verschärfung des Urheberrechts? Es dürfte neben den üblichen Profitinteressen noch andere Gründe geben, und die haben mit der Kontrolle des Internets und mit Zensur zu tun.

Vertreter des deutschen Innenministeriums haben in der EU-Gipfelerklärung von Ende Juni einen Passus zugunsten der Upload-Filter untergebracht. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und sein französischer Amtskollege Gérard Collomb (PS) hatten bereits Mitte April in einem gemeinsamen Brief an die EU-Kommission eine gesetzliche Regelung gefordert, um gegen Terrorpropaganda auf Online-Plattformen vorgehen zu können – eine Ausweitung der Kontrolle inbegriffen. Es soll eben auch um »Aufstachelung zu Hass und Gewalt« und um »Produktfälschungen und Urheberrechtsverletzungen« gehen.

Die Upload-Filter sind erst der Anfang auf einem Weg, dessen Ziel der Aufbau einer europaweiten Zensurinfrastruktur ist. Der Europäische Rat, das Entscheidungsgremium der Staats- und Regierungschefs der EU, hat Anfang Juli eine ganze Reihe von sicherheitspolitischen Hardliner-Forderungen verabschiedet. Da findet sich neben der weiteren Abschottung Europas und der Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex ganz selbstverständlich die Forderung, die »Cyber Diplomacy Toolbox«, also ein EU-Zensur-Tool, verstärkt »praktisch anzuwenden«. Upload-Filter also auf allen Ebenen, Seehofer sei Dank.

Neben den Upload-Filtern, die in Artikel 13 des EU-Kommissionsentwurfs zur Ausweitung des Urheberrechts enthalten sind, ist Artikel 11 wichtig: Hier wird ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger gefordert, das vor allem vom Axel- Springer-Konzern vorangetrieben wurde. Suchdienste wie zum Beispiel Google sollen künftig für sämtliche Textschnipsel und Überschriften von Zeitungsartikeln, die sie bei Suchanfragen anzeigen, bezahlen. Alle, die noch so kleine Ausschnitte journalistischer Inhalte im Netz nutzen, würden dafür künftig eine Lizenz der Verleger brauchen und müssten bis 20 Jahre nach der Veröffentlichung eine Art »Linksteuer« für diese »Snippets« bezahlen. Jegliche Einschränkung von Snippets behindert das freie Verlinken im Netz und schränkt nicht nur Unternehmen, sondern auch zum Beispiel Blogger*innen ein. Die Meinungs- und Informationsfreiheit würde massiv gefährdet.

 

Letztlich geht es der EU-Kommission darum, neue Einnahmequellen für Presseverlage zu erschließen. Ein derartiges Leistungsschutzrecht für Verleger ist in Deutschland und Spanien bereits kläglich gescheitert. Das deutsche Gesetz war wider alle Vernunft eingeführt worden, dürfte vom Europäischen Gerichtshof demnächst gestoppt werden und geistert höchstens noch als Zombie durch die Gänge der einschlägigen Lobbyvereinigungen. 

In der Praxis sind die deutschen Verleger längst vor Google eingeknickt und räumen dem Konzern ein, Verlagsinhalte kostenlos darzustellen – zu groß war die Angst davor, von Google aus dem Index gestrichen zu werden und damit Besucher auf den eigenen Webseiten zu verlieren. Friedrich Küppersbusch hat sich über das Geschäftsmodell von Axel Springer und Konsorten mokiert: »Ein Angler wirft seine Rute in den Tümpel, und ob er etwas fängt oder nicht, er fordert vom Tümpelbesitzer eine Köderabnutzungsgebühr.« Absurd? Natürlich. Aber keine Idee ist absurd genug, als dass sie nicht von den deutschen Copyright-Cops in Gesetze gegossen würde.

Das Gesetz, das in Deutschland nicht durchkam, propagiert man nun auf europäischer Ebene – in verschärfter Form natürlich! Dabei sind auch die Vertreter*innen der deutschen Regierungskoalition, obwohl die Koalition aus CDU, CSU und SPD sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatte, Upload- Filter für die Durchsetzung des Urheberrechts abzulehnen. Man hat aber vergessen, dies auch auf die Sicherheitspolitik auszudehnen, und in diesem Freiraum wildert nun Seehofer.

Natürlich geht es im Kampf der Kulturindustrie für ein verschärftes Urheberrecht um Grundsätzliches: um Besitzrechte, und die haben im 21. Jahrhundert eben zunehmend mit dem »geistigen Eigentum« zu tun (siehe meinen Beitrag in konkret 11/11). Die Großkonzerne der Kulturindustrie investieren heute massiv in geistiges Eigentum. Sony-Chef Kenichiro Yoshida erklärte ganz unverblümt: »Die Investition in intellektuelle Eigentumsrechte ist ein Grundpfeiler für unser langfristiges Wachstum.« Und so haben die Lobbyisten der Kulturindustrie und ihre politischen Helfershelfer das Urheberrecht, das ja eigentlich die Kreativen schützen und ihnen zu gerechten Einkünften verhelfen soll, längst in ein Verwerterrecht für zum Beispiel Plattenfirmen oder Verlage umgewandelt. Die lassen sich weitgehende oder gar ausschließliche Nutzungsrechte übertragen und sind so an die Stelle der Urheber getreten; dabei genießt die Verwertungsindustrie praktisch den gleichen Schutz für die erworbenen Nutzungsrechte wie die Schöpfer der Werke, für die das Urheberrecht eigentlich eingerichtet wurde.

Doch es sind nicht nur die Großkonzerne der Kulturindustrie, die in Urheberrechte investieren, sondern längst auch Hedgefonds. Einer der größten Musikkataloge überhaupt, mit Rechten an Songs von John Denver, Bob Marley, Sheryl Crow oder Avril Lavigne, gehört laut »Süddeutscher Zeitung « einem englischen Fonds namens First State Media Works Fund 1, in den unter anderem Pensionsfonds aus Europa, Australien und den USA investiert haben. Dieser Fonds ist laut »SZ« off shore deponiert worden und kommt in den sogenannten Paradise Papers vor.

Ein anderer Musikkatalog, zu dem wichtige Stücke der Beatles gehören (zum Beispiel »Hey Jude« oder »Let It Be«), gehörte zwischenzeitig einem Konsortium unter Mehrheitsbeteiligung des Mubadala-Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate, ehe Sony kürzlich diese Anteile erwarb und jetzt 90 Prozent der Rechte an dem Verlagskatalog hält, dessen Wert innerhalb von sechs Jahren um über 40 Prozent gestiegen ist. Intellektuelle Eigentumsrechte sind das Öl des 21. Jahrhunderts. Haben die Künstler*innen, also die Urheber*innen, von denen in der Märchenprosa von Musikindustrie und Politik immer die Rede ist, von diesen gigantischen Wertsteigerungen in irgendeiner Weise profitiert? Natürlich nicht.

Verlage und Musikindustrie haben das Internet verschlafen. Nun wollen sie im nachhinein mit Hilfe eines Gesetzes an den Gewinnen der Internetkonzerne beteiligt werden. Im Grunde stehen sich in diesem Kampf alte und neue Verwertungsindustrie gegenüber: auf der einen Seite die »klassischen« Verwerter, also Plattenfirmen und Großverlage, auf der anderen Seite die digitalen Verwerter, also Social-Media-Konzerne oder Streaming-Dienste.

Die Urheber*innen spielen weder auf der einen noch auf der anderen Seite eine Rolle. Die Lobbyverbände der Kulturindustrie und der Großverlage behaupten allerdings gerne, die Interessen der Urheber*innen zu vertreten, und haben zu diesem Zweck die Geschichte von den sogenannten Kreativen erfunden. Kreative sind nach dieser Logik nicht nur die Urheber*innen, sondern vor allem die Verlage und die Konzerne der Musikindustrie, zumal sich in Deutschland Verwertungsgesellschaften wie Gema, VG Wort oder VG Bild Kunst auf die Seite der klassischen Verwertungsindustrie geschlagen haben.

Diese Erzählung bleibt nicht ohne Erfolg. In der »Taz« konnte man beispielsweise lesen: »Ziel soll die faire Vergütung von Urheber*innen im Netz sein. Dazu gehören unter anderem Verlage und Musiklabels.« Ach ja? Es sind also nicht mehr die Schriftsteller* innen und Musiker*innen, die die Kunstwerke herstellen?

Aber die Lobbyisten haben längst die Oberhand gewonnen, in allen Medien hierzulande ist von den Kreativen die Rede, wenn die Verwertungsindustrie Kongresse und Pressekonferenzen abhält. Dabei helfen ein paar nützliche Idioten, die der Kulturindustrie zuarbeiten. Etwa der Schlager- und Filmkomponist Micki Meuser. Der behauptete in einem Interview: »Google hat 2017 in Europa mit Youtube 23 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Mit unseren kulturellen Werken. Es wäre doch deutlich angemessen, wenn wir einen Anteil davon bekommen würden. « Nun, das ist längst der Fall, denn Youtube hat mit der Gema einen entsprechenden Vertrag geschlossen, und Micki Meuser bekommt von Youtube Tantiemen – und wenn die deutsche Gema nicht so stur gewesen wäre, hätten die deutschen Musiker*innen (und übrigens auch die deutschen Verwerter) etliche Jahre früher von Youtube Geld bekommen.

Die bundesdeutsche Verwertungsindustrie hat eine beispiellose Kampagne gestartet, um die EU-Abgeordneten unter Druck zu setzen. Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) hat im April eine »Kulturkonferenz« ausgerichtet, auf der die Interessen der »europäischen Content-Industrie« formuliert wurden, die dann doch eher mit Profit als mit Kultur zu tun haben dürften. Man hat alle einschlägigen Lobbyorganisationen zu Statements zugunsten der EU-Reform zusammengetrommelt; der zum Holtzbrinck- Konzern gehörende Berliner »Tagesspiegel« hat Mitte Juni eigens ein Gipfeltreffen der Musikwirtschaft unter dem Titel »Agenda Spezial« veranstaltet.

Zunächst schien all das Erfolg zu haben: Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat am 20. Juni mit knappen Mehrheiten die neuen Urheberrechtsrichtlinien verabschiedet: mit 15 zu zehn Stimmen zugunsten der Upload-Filter, mit 13 zu zwölf Stimmen zugunsten der Link-Steuer – nur die Stimmen der rechtsradikalen Rassemblement National verschafften den Christdemokraten die entsprechenden Mehrheiten.

Doch das EU-Parlament hat sich Anfang Juli über diese Beschlussfassung fürs erste hinweggesetzt und die vorgeschlagene Reform des Urheberrechts abgelehnt. Die deutsche Kulturindustrie reagierte erbost: Der Vorstandsvorsitzende des BVMI behauptete, die »Reformgegner« hätten »durch großangelegte Kampagnen Ängste geschürt« und damit angemessene Antworten auf »die wichtigen für Künstler und ihre Partner im Raum stehenden Fragen« gefährdet. Der Gema- Vorstandsvorsitzende sprach von einer »beispiellosen Desinformationskampagne«, die »das kulturelle Wertegerüst zum Einsturz gebracht« habe. Das Abendland ist in Gefahr!

Wer immer noch denkt, dass die sogenannten Indies, also die »unabhängigen« Firmen der Musikindustrie, andere Interessen als die Großkonzerne haben, der lese die Stellungnahme des Geschäftsführers des Lobbyverbands der Indies (VUT), der ebenfalls lamentierte: Die »Desinformationskampagne « sei »besorgniserregend«. Der Indie-Vertreter setzt noch einen drauf: Man müsse »grundsätzlich darüber sprechen«, »wie wir mit Plattformen umgehen, die die öffentliche Meinung massiv beeinflussen können«. Sollen derartige Plattformen zensiert werden, damit sie nicht weiter den Profitinteressen der Kulturindustrie entgegenstehen können? Eine Kampagne der größten Lobbyverbände der Kulturindustrie, orchestriert von den Verlagskonzernen und also in fast allen Medien protegiert, wird für normal gehalten, eine Kampagne auf Change.org, bei der über 900.000 Menschen sich für ein freies Internet ausgesprochen haben, wird dagegen als Desinformationskampagne denunziert. Indies, gute Nacht!

Wer glaubt, dass die Interessen der Kulturindustrie deckungsgleich mit den Interessen der Künstler*innen seien (wie zum Beispiel die Gewerkschaft Verdi, die in Sachen Urheberrecht auf seiten der Konzerne steht), der sehe sich den in der öffentlichen Diskussion vernachlässigten Artikel 12 der EU-Urheberrechtsreform an: Tritt der in Kraft, dann müssen die Urheber*innen ihre Ausschüttungen künftig mit Verlegern oder Plattenfirmen teilen – eine Praxis, die hierzulande als gesetzwidrig verworfen wurde.

Eine endgültige Entscheidung wird das EU-Parlament im September dieses Jahres treffen. Bis dahin gilt es, die Proteste zu verstärken. 

Berthold Seliger ist Autor und betreibt eine Konzertagentur in Berlin  


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