Quasiphilosophische und vulgärpsychologische Mutmaßungen zum SUV.
Von Johannes Vincent Knecht
Das Thema ist nicht frei gewählt. Wer das spröde Privileg genießt, im Speckgürtel einer deutschen Großstadt zu leben, für den sind die schrecklich lächerlichen Pseudogeländewagen in ihrer körperlichen Aufdringlichkeit unausweichlich geworden. Und wer die Erkundung des Zeitgeistes zu seinen Gewohnheiten zählt, der wird auf ein gedankliches Einkreisen der anstößigen Mobilien schon deshalb nicht verzichten wollen, weil sich der »Todescharakter der Gegenwart« (Joseph Beuys) hier in plakativer Sinnbildhaftigkeit offenbart.
Beginnen wir mit dem Handgreiflichen, der Frage nach Zweck und Sinn. Zweck des Autos ist die bequeme Fortbewegung, die sich nach speziellen Erfordernissen zu Gelände-, Transport- oder Rennfahrzeugen differenziert. Unter dieser Perspektive ist das SUV augenscheinlich ein dinggewordener Kategorienfehler, eine dysfunktionale Schimäre. Mit seinen lackierten Stoßstangen und filigranen Details ist es für Gelände und Bauernhof völlig ungeeignet, für die Stadt übermotorisiert und für die schnelle Autobahnfahrt statisch zu wuchtig und hochliegend. Dem praktischen Zweck nach handelt es sich um ein schlechterdings unbrauchbares Auto, dessen Machart auf keine Verwendung hin optimiert scheint.
So liegt es nahe, den Sinn der megalomanen Konstrukte nicht in ihrem Gebrauch, sondern in ihrem symbolischen Mehrwert zu sehen. Bevor wir dieser Versuchung nachgeben, sei kurz an einen zeitlos eleganten Grundgedanken der antiken Ethik erinnert, der die Absurdität jener Gefährte präzise zu fassen vermag. Für Platon und Aristoteles liegt der Wert einer Sache zunächst in ihrer Benutzbarkeit: Ein Stuhl ist darin gut, dass ich darauf sitzen kann. Die Pointe dieses Qualitätsbegriffes ist die wechselseitige Bedingtheit von Funktion, Ästhetik und Moral: Ein Ding ist in dem Maße schön, wie es nützlich ist, wodurch es zugleich als moralisch hochwertig (heute etwa als ökologisch und sozial gerechtfertigt) angesehen wird. Im wunderbar weiten Begriff der Arete, den die christliche Rezeption irreführend einseitig als Tugend übersetzt hat, fallen also drei Perspektiven auf ein Produkt zusammen. Im real existierenden Spätkapitalismus hingegen fallen diese Kriterien völlig auseinander, was viel über das Fehlerhafte und Inhumane der Gegenwart verrät. Im Sinne der philosophischen Tradition wäre das SUV also in seiner praktischen Nutzlosigkeit zugleich als schlecht und hässlich entlarvt, was jenem unmittelbar evidenten Eindruck aggressiver Unbescheidenheit entspricht, den wir in der täglichen Konfrontation mit den panzerartigen Fahrmaschinen gewärtigen.
Widmen wir uns nun der psychologischen Spekulation, deren zugestanden klischeehafter Charakter dadurch anempfohlen wird, dass jene Autos uns ja selbst als denkbar nichtsubtile, in ihrer Form gleichsam stereotype Gestalten vor Augen stehen. Die klassische ästhetische Theorie kennt den hier sehr brauchbaren Unterschied zwischen dem Monströsen und dem Kolossalen. Das Kolossale bezeichnet ein Objekt, das durch seine gewaltigen, herrschaftlichen Proportionen den Menschen seine Winzigkeit (seine Beherrschtheit, seine Geworfenheit) körperlich erleben lässt, dabei aber eine in sich gültige künstlerische Ganzheit artikuliert, die der Größe Imposanz und Würde verleiht. Ägyptische Pyramiden und gotische Kathedralen sind beliebte Beispiele.
Beim Monströsen hingegen triumphiert die Gier nach schierer Größe über jedes gestalterische Konzept, was im Falle des SUV zum profunden Eindruck des Aufgeblähten und Fehlgebildeten führt. Viele Modelle wirken, als wären sie wahllos mit Implantaten und Anabolika traktiert, um alle Partien der metallischen Haut zu unnatürlicher Schwellung zu bringen. Jedes Gespür für Komposition und Harmonie, für die Schönheit des Dezenten, wie sie sich in den Höhenflügen traditioneller Karosserieschneiderkunst zeigt, wird hier brutal ignoriert.
Wer aber verschafft sich ein derart abstoßendes Fahrzeug? Wer genießt es, sich als Besitzer eines so offensiv geschmacklosen Gegenstandes zu exponieren?
Im Rahmen eines simplen Weltbildes dürfen wir unterstellen, dass nur Zeitgenossen als Halter in Frage kommen, in denen sich der Zwang zur sozialen Distinktion, zur Markierung der eigenen materiellen Überlegenheit weit mächtiger entfaltet als jede moralische oder ästhetische Bildung. Anders gesagt: Im Kauf der buckeligen Blechberge manifestiert sich ein eklatanter Mangel an Urteilskraft, der die Auslieferung des Subjektes an den totalen Konsumdarwinismus im posthumanistischen Zeitalter bewirkt. Es handelt sich um ebenjene gesellschaftliche Gruppe, die ihrer Stillosigkeit wegen seit dem 19. Jahrhundert der Adel wie auch das Bildungsbürgertum mit ätzender Verachtung straften: Die neureichen Snobs, die zufällig an zuviel Geld Gekommenen, die ihren Status ständig nervös neu beglaubigen müssen, die sich den alten Eliten anbiedern, das Subalterne der eigenen Herkunft verleugnen und dabei in ihrer fehlenden Sensibilität für die Feinheiten der sozialen Codes völlig verkennen, dass ihr aufgedunsenes Angeberauto allen Inhabern kulturellen Kapitals nur als hilfloser Ausdruck eines devoten, eigentlich mitleiderregenden Wunsches nach Anerkennung erscheinen kann.
Tatsächlich liegt es nahe, im SUV genau das Gegenteil jener Souveränität und lässigen Selbstsicherheit zu erkennen, die es gemäß seiner Dimension und seines kraftmeierischen Designs auszustrahlen bemüht ist. Vielmehr scheinen jene Objekte das aktuell aufdringlichste Menetekel eines zunehmend misslingenden, unter seiner protzigen Oberfläche im Grunde verzweifelten Klassenkampfes von oben. Man braucht weder sentimentale Verliererromantik noch Marx oder Freud, um das SUV als bloße Simulation von Stärke und Superiorität, als kompensatorische Geste, mithin als Indikator und Schutzraum einer ichschwachen, allseits reduzierten Persönlichkeit zu deuten.
So erlauben wir uns, das SUV eben nicht als klassisches Statussymbol der allseits konsolidierten Oberschicht aufzufassen (die in der Regel lieber weiterhin einen wohlpatinierten Jaguar fährt), sondern als Abgrenzungsvehikel einer verängstigten, kreditgeplagten oberen Mittelschicht, die deutlich zu spüren bekommt, dass der eigene Wohlstand bedroht, die hergebrachte Klassenordnung (vor allem im Mittelfeld) morsch und die alten Chiffren der Selbstvergewisserung unlesbar geworden sind. In dieser Panik erscheint die herrische automobile Attrappe als martialischer Versuch der Manifestation ebenjener überlegenen Beständigkeit, die sich in der sozialen Realität längst zu verflüssigen beginnt. Dieses Unterfangen ist freilich aussichtslos, zumal nun auch die Billighersteller aus Fernost Baureihen im Programm haben, die als Plagiate europäischer »Premiumhersteller« bei entsprechender finanzieller Priorisierung auch für bescheidenere Gehaltsgruppen in den Bereich des Erschwinglichen geraten. Denn wozu müssen die Kinder zum Urlaub ans Meer, wenn sie stattdessen mit einem bulligen Ssangyong Rexton zur Schule chauffiert werden können? Man weiß eben nicht, was im doppelten Wortsinne peinlicher ist: aller Welt mit seinem BMW x6 oder Porsche Macan die obszöne Höhe des Kontostandes und die penetrante Dringlichkeit des eigenen Nötighabens aufzudrängen oder durch minderwertigen Möchtegernluxus die Wucherungen der eigenen Geltungssucht noch über die tatsächlichen finanziellen Möglichkeiten hinauszutreiben.
Damit haben wir ein erstes Ergebnis bei der Hand: Das SUV ist der scheiternde Versuch, eine in heftiger Transformation befindliche Werte- und Weltordnung zu konservieren. Dazu fügt sich jene ostentative Gleichgültigkeit des SUV-Fahrers gegenüber allem, was als ökologisches Ressourcenbewusstsein die Haltung der Bildungseliten und die Sorgen jedes halbwegs orientierten Gegenwartsteilnehmers grundiert. Man sollte mehr darin erkennen als die hergebrachte Renitenz des bräsigen Besitzbürgers gegenüber grünhysterischer Apokalyptik. Tatsächlich trägt die schamlos, ja stolz demonstrierte Vergeudung von Treibstoff und Material in wahnhafter Inversion selber Züge eines erotisierten Flirts mit dem Untergang. Historische Analogien zum spätbarocken Geltungskonsum des Ancien Régime ebenso wie zu den präapokalyptischen Enthemmungen des Hochmittelalters drängen sich auf. Die Begüterten schwelgen in öffentlicher Verschwendung, zelebrieren den Exzess, weil im Angesicht des Weltenendes alle Gebote des Maßhaltens im Kleingeistigen verpufft sind. Des Menschen kindische Lust ist stets in die Kurzfrist gerichtet, und so nimmt man eben mit, was noch zu haben ist, bevor die Wohlstandsblase platzt, die Landschaft auch in unseren gesegneten Breiten verwüstet oder sich die Periode motorisierter Individualmobilität, allen gegenteiligen Bemühungen des politisch-ökonomischen Komplexes zum Trotz, doch ihrem Ende zuneigt. Vom hohen Fahrersitz des SUV blickt man mit der klandestinen Geilheit eines dirty fun nicht nur konkret, sondern auch metaphorisch auf die neidische Masse der radelnden und polofahrenden skrupulösen Genussfeinde herab, fühlt sich als potente Avantgarde im so oder so finalen Kapitel rezenter Lebensweisen und ist dabei ganz eingedenk jenes von schlussendlicher Blödigkeit mehr noch als von Untergangslust triefenden Wortes des gewesenen Verkehrsministers Erwin Huber: »Aber die Deutschen dürfen nicht zu einem Volk von Kleinwagenfahrern degradiert werden.« Gerade für die Deutschen darf die Wahl zwischen dem guten Recht auf adipöse Schwachsinnsmobile und der Bewohnbarkeit des Planeten als je schon getroffen gelten.
Die beständig steigenden Zulassungszahlen legen es nahe, den Blick auf jene Maschinen weiter zu schärfen. Wir können sie mitleidig und selbstgefällig als Symptome fehlgeleiteter Daseinsangst, als Zeichen fideler Resignation verharmlosen, als das schlechthin Obszöne und Asoziale beschimpfen oder sie als Kondensate ebenjenes im Pragmatismus sich tarnenden Zynismus erkennen, der die Gegenwart wie nichts anderes bestimmt.
Johannes Vincent Knecht fährt Bahn, Bus und einen tschechischen Kleinwagen