Interview mit der Rapperin Sookee über misogynen und queerfeindlichen Gangstarap, Songs für den Mainstream und die Sprache der Sexualität
literatur konkret: Warum hat sich Deutschrap seit den vielversprechenden Zeiten von Cora E und Stieber Twins zu dem entwickelt, was heute in den Charts steht?
Sookee: Sowohl die Kulturindustrie als auch die Rezipient*innen sind sehr daran gewöhnt, dass der Kapitalismus von Verschärfungen lebt. Das hat soziale Konsequenzen. Wenn die Werbeindustrie – ganz ähnlich der Musikindustrie – die Verbreitung problematischer Geschlechterbilder mit einem »Sex sells«-»Argument« zu rechtfertigen versucht, ist es tatsächlich ein »Sexism sells«. Auch rassistische Zuschreibungen einer deutschen Mehrheitsgesellschaft haben dafür gesorgt, dass das Bild des Gangstas kapitalisierbar wurde. Die Kulturwissenschaftlerin Tricia Rose hat in ihrer Analyse dieser Entwicklung auf dem US-HipHop-Markt gezeigt, dass eine Vielzahl von Images und Narrativen auf die Verkaufbarkeit der Triade »Gangsta Pimp Hoe« (also krimineller, misogyner schwarzer Mann und sexualisierte, unterworfene Frau) abzielen.
Gibt es eine Kopplung zwischen dem Interesse des Bürgertums und den Attitüden des Gangstarap?
Dass Gangstarap rebellisch sein soll, scheint mir völlig überkommen. Womit wird denn wogegen rebelliert? Die konservativen Positionen einer patriarchalen und heteronormativen Gesellschaft decken sich mit den misogynen und queerfeindlichen Statements und Stilmitteln. Auch die Vergötzung der Profitlogik hat bei vielen etablierten Rappern nichts mehr mit dem Traum vom sozialen Aufstieg zu tun, der für sie längst Wirklichkeit geworden ist.
Ben Salomo meinte, als er wegen des immer größer werdenen Antisemitismus seinen Ausstieg aus der Rapszene bekanntgab: »Innerhalb der Rapszene gibt es keine Diskussion. Die Diskussion ist außerhalb.« Liegt es nicht gerade in der Natur von Rap, die ganze Zeit zu kommunizieren?
Kommunikation heißt nicht gleich Reflexion. Trotzdem gibt es sehr wohl auch rapintern eine Menge Diskussion über solche Themen. Ich glaube nicht an abgeschlossene Sphären von innen und außen. Allerdings verschanzen sich viele Protagonist*innen der Szene hinter einer marktreferentiellen »Der Erfolg gibt mir recht«-Logik und sind nicht bereit, ihr Handeln in Frage zu stellen. Das würde die identitär aufgeladenen Imagepolitiken vieler Rapper*innen arg ins Schwanken bringen.
Du vergleichst Rap mit einer Burschenschaft. Wie unterstützen sich queerfeministische Rapperinnen?
Wir versuchen, die »Teile und herrsche«-Strategien des Kapitalismus und des Patriarchats zu überwinden. Ich erlebe fast gar kein Konkurrenzdenken. Viele Rapperinnen (und transmännliche Rapper) treten gemeinsam auf, gehen gemeinsam auf Tour, machen gemeinsam Songs, vernetzen sich in Workshops, teilen ihr Wissen und ihre Ressourcen wie Beatproduktionssoftware und Aufnahmemöglichkeiten. Wir freuen uns füreinander, wenn eine es ans Mic und auf die Bühne schafft, ihre Stimme erhebt und sich artikuliert. Wir empfehlen uns gegenseitig, wann immer es uns möglich ist: Checkt unbedingt Finna und Rahsa aus Hamburg, Ebow und Yasmo aus Wien, Sir Mantis und Plaeikke aus Leipzig und Lady Lazy und Haszcara aus Berlin!
Mit deinem Album »Mortem & Makeup« von 2017 wolltest du mehr auf »Leute außerhalb der linken Filterbubble« zugehen. Geht die Strategie auf?
Ja. Zum einen ist das Album eh in einer Zeit erschienen, in der sich der kulturelle Mainstream zumindest in Teilen feministischen und queeren Themen und Debatten öffnet und zahlreiche Menschen aufgrund des Rechtsrucks überlegen, warum es schlau ist, sich als im weiteren Sinne links zu verstehen. Für diese weniger geübten Ohren war »Mortem & Makeup« ein Entgegenkommen, wie Rückmeldungen bestätigen. Zudem bin ich mit dieser Strategie nicht allein. Von Rockbands wie Kafvka über Anne Für Sich bis zu diversen Rapacts gibt es eine Welle emanzipatorischer Politisierungsbestrebungen.
Auf deiner Website steht: »Wenn Sookee rappt, erlebt man Kinder und Kanzlerin im Staunen vereint.« Wie verträgt sich das mit deinem Statement »Spuck auf rechts«?
Ich bin kein Fan der parlamentarischen Demokratie, wie wir sie kennen. Es gibt keine Partei, in die ich eintreten würde. Der deutsche Staat bietet mir persönlich ausgesprochen wenig Identifikationsmöglichkeiten. Dennoch finde ich es wichtig, wenn Parteipolitiker*innen –welchen Ranges auch immer – anerkennend registrieren, dass sich das kulturelle Leben mit Gegenwartspolitik befasst und Position bezieht. Trotzdem bin ich Antifaschistin und lasse mir nicht nehmen, Songs wie »Zusammenhänge« mit der Zeile »Ich brüll alerta antifascista und spuck auf rechts« vorm Brandenburger Tor als Botschafterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu spielen. Ich empfinde das eher als Intervention denn als Widerspruch.
Rapper beschäftigen sich mehr als andere Künstler mit sich selbst. Welche politische Stärke liegt darin? Welche Schwäche?
Rap ist tatsächlich ziemlich selbstreferentiell. Nervig bis problematisch wird’s, wenn das zu einem egozentrischen Eiertanz wird, der sich gegen kritische Betrachtung immunisiert. Auf der anderen Seite gibt es die Möglichkeit, sich in der Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Genre zu reflektieren: bezüglich der gängigen Narrationen, Imagepolitiken, Sprachgebräuche und dergleichen. Insbesondere, wenn Rap als »Spiegel der Gesellschaft« gilt. Wovon ich wenig halte, denn eine tatsächliche Spiegelung im Sinne einer quasi objektiven Repräsentation gibt es nicht. Wann immer jemand Realität wiedergibt, schreiben sich diskursive Verwicklungen der Autor*innen mit ein. Insofern handelt es sich eher um eine Wechselwirkung zwischen Rap und Gesellschaft.
Was sagt das Verhältnis zu seiner eigenen Sprache über einen Menschen aus?
Der Kontext macht ziemlich viel aus. Sprachliche Sozialisation ist nicht zu unterschätzen. Was aber nicht bedeutet, dass das Gelernte ewig fortbestehen muss. Menschen können sich aktiv mit dem eigenen Sprachgebrauch auseinandersetzen und ihr sprachliches Verhalten verändern, ihr Register erweitern, sich bestimmte affektiv eingesetzte Begriffe abtrainieren und so weiter. Wenn sie es denn wollen. Sprache ist Kultur, und Kultur ist veränderbar. Das bedeutet aber nicht, dass ein bloßer PC-hygienischer Umgang mit problematischen Begriffen ein Allheilmittel ist. Es gibt hochgradig sexistische Rapsongs, die niemals auf dem Schreibtisch der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien landen würden, weil sie total »clean« sind. Da steckt die Misogynie in anderen Ebenen des Textes.
Im Umkehrschluss können Personen, die ableistische oder transfeindliche Terms verwenden, schlichtweg noch nicht die Gelegenheit gehabt haben, die dahinterstehende Problematik zu reflektieren, was nicht bedeuten muss, dass sie tatsächlich Behinderte abwerten oder anfeinden und transgeschlechtliche Leute für krank halten. Sensibilisierungsprozesse in diesem Bereich können sehr unterschiedlich verlaufen.
Für welchen Kampf gegen wen eignet sich welche Sprache?
Der Hippie in mir säuselt nun, dass man nicht gegen jemanden, sondern für etwas kämpfen sollte. Grundsätzlich gibt es keine abgeschlossenen Sprachkategorien, die für den jeweiligen politischen Kampf als sichere Maßnahme gelten. Das Schöne an Sprache ist ihre Variabilität und das Experimentelle. Für mich ändert sich das von Song zu Song und unterliegt der Tagesform.
Bietet gerade Rap als Kunst Möglichkeiten zum Queersein oder Queerwerden?
Queerness steckt in jedem Lebensbereich, wenn ich das will. Lediglich die heteronormative, cismännliche Traditionsdichte im Rap bietet Queerness als dem großen Anderen sicherlich besondere Möglichkeiten.
In »Wortgewaltverherrlichung« singst du: »Es soll kaum mehr eine Tugend geben außer der gerechten Rede.« Die FickdeinemutterRapper haben meistens ihre eigenen Vorstellungen von Moral und ehrbarem Handeln. Suchst du eine Sprache der Moral?
Es gibt zwei Felder, auf denen ich mich nicht sicher bewege: Kunst und Moral. Ich halte es eher mit Kultur und Politik. Letztere erheben weniger den Anspruch, universell zu sein. Das verspricht mir Aushandlungsmöglichkeiten. Die Sprache der Moral ist mir insofern keine Partnerin, als sie sich als total und abgeschlossen ausgibt: »Das sagt man nicht!« schließt Dynamik, Kontext und Entwicklung aus. So geht gesellschaftliche Veränderung nicht.
Ist die Sprache der Sexualität frei? Könnte man mit dem momentan vorhandenen Vokabular für Sex und Begehren (ficken, bumsen, Muschi et cetera) überhaupt eine von Gewalt und Heteronormativität befreite Form des Ausdrucks finden?
Ich versuche das zumindest. Ich verwende »koitale« Begriffe, die sonst vielfach als Ausdruck von Ablehnung oder Zerstörungswut auftauchen, eben im konsensuell-sexuellen Sinne. Ficken heißt bei mir eben Sex haben und nicht angreifen oder zerstören. Körperreferentielle und sexualisierte Begriffe haben es dringend nötig, wertschätzend und empowernd eingesetzt zu werden. Ich würde einen Begriff wie Fotze niemals pejorativ, aber durchaus in seiner kinky Konnotation gebrauchen.
Wie stehst du zur Debatte um Beißreflexe?
Interessant, dass der Titel eines Buches
zur Debatten-Headline avanciert ist. Ich erlebe die Debatte eher als eine um Identitätspolitik und Streitkultur. Ich neige nicht dazu, eine der beiden Seiten argumentativ zu bedienen oder uneingeschränkt zu unterstützen. Ich bin nicht der Typ für Entweder-Oder-Logiken. Mich interessiert: Wie ist gesellschaftlicher Wandel möglich? Veränderung braucht Zeit und guten Willen. Soziales Lernen ist prozessual, und wer mit Sanktionen erzieht, wird keine Verbündeten hervorbringen.
Ist es besser, vom Kampf zu erzählen oder so zu tun, als wäre er gewonnen?
Auch hier wieder: Entweder-Oder als Binärlogik widerspricht dem queeren Anliegen in sich. Kritisch-Kämpferisches ist der utopischen Erzählung inhärent. Andersrum implizieren abgefuckte zynische Texte irgendwo Hoffnung, auch wenn sie nur großschnäuzig ihre enttäuschte Romantik vor sich her tragen. Beide Zugänge können wirkungsvoll sein, auch wenn ich die Miesepetrigkeit der Dystopie wegen jahrzehntelanger Depressionserfahrung von mir fernzuhalten versuche. Strategisch ist es sinnvoll, die gewonnenen Zwischenetappen so ausführlich zu feiern wie möglich, um die Spannung zu halten und sich selbst zu motivieren. Es sind eh alles Prozesse. Wann hat je ein Mensch einen Punkt hinter einen politischen Kampf gemacht?
Erlebst du, dass queere Kunst den Alltag, queerer Alltag die Kunst verändert?
Queere Sichtbarkeit im kulturellen Leben stabilisiert, verstetigt und vergewissert queere Alltäglichkeiten. Wenn ein*e DJ ein queeres Set auflegt, müssen die Leute auf der Tanzfläche die Hetero-Lovestorys der Popmusik nicht mehr umdeuten und können sich der Unmittelbarkeit und damit ihrer selbst erfreuen. Das gibt Kraft.
Interview: Emily Philippi
Sookee: Mortem & Makeup. Buback/Indigo 2017