Literatur Konkret Nr. 4
1979
Literatur Konkret 4
Der widerborstige Horst Tomayer hat uns den Vorschlag gemacht, dieses vierte Heft von LITERATUR KONKRET unter das Titelthema zu stellen: »Die Problematik des nicht inhaftierten Schriftstellers«. Der Stimmung in diesem bundesdeutschen Buchherbst hätte es entsprochen - der Wut auf den Kulturrevolutionär der späten Sechziger, der in den späten Siebzigern als feuilletonistischer Fuffziger über die Seufzerbrücke schreitet, wie jener grassierenden Verantwortungslosigkeit, die nur noch für die Pointe lebt. Aber so lange Peter Paul Zahl seine Literatur ganz konkret im Knast schreiben muß, wohin ihn ein bis heute unerschütterbares Terror-Urteil gebracht hat, muß Tomayers Einfall warten.
Die neueste Stimmung im Westdeutschen ist dennoch Thema dieses Heftes: Die Selbstverständlichkeit, mit der die Couturiers jeglicher neuen Mode ihre gestrigen Dessins der Caritas überlassen; die Chuzpe, mit welcher die bürgerlichen Großkritiker ihr hundertmal bankrottes Gewerbe betreiben; die Routine, mit der eben noch gefeierte Schriftsteller zu Schreibwaren-Produzenten degradiert werden, wenn sie nicht mehr in den politischen Auftrag passen.
Titelthema jedoch ist etwas Neues und - trotz alledem - Erfreuliches. Die Zweitausendeins-Kultur, Erfolg und Wirkung des vor zehn Jahren als Secondhand-Vertrieb gestarteten Unternehmens, das heute hunderttausende Kunden hat und Läden in neun Großstädten der Bundesrepublik betreibt, das Bücher zu Bestsellern macht, die den anspruchsvollen Verlagen zu anspruchsvoll geworden sind, um rentabel zu erscheinen, das zugleich Edel-Kitsch vertreibt und eine US-Kultur importiert, auf die wir gerade noch gewartet haben. In einem Gespräch mit Autoren von LITERATUR KONKRET machte Hermann Peter Piwitt den Vorschlag, über Zweitausendeins unter der Überschrift zu berichten: »Ein zweischneidiges Ei«. (Hätten wir dann nicht über den Männlichkeitsautor Uve Schmidt schreiben müssen: »Zwei schneidige Eier«?) Jetzt heißt die Geschichte (von Hartmut Schulze) ganz rätselhaft »Rumpeldipumpel« (Seite 16).
Bei Zweitausendeins erscheint in diesem Herbst auch ein Buch, das in LITERATUR KONKRET nicht besprochen wird - aus uns zu naheliegendem Grund: Hermann L. Gremlizas gesammelte Lehrlingsstücke unter dem Titel »Was Gabriele Henkel alles mit der Hand macht«.