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Das »Null-Subjekt«

Vom Thymos-Faschismus des AfD-Vordenkers und Peter-Sloterdijk-Jüngers Marc Jongen. Von Jürgen Pelzer

Kaum eine bürgerliche Zeitung, die ihm in den letzten Jahren nicht ausführliche Interviews gewährt oder über Diskussionen mit ihm berichtet hätte. Marc Jongen, Philosophiedozent in Karlsruhe und Adept des Meisterdenkers und Herrschaftszynikers Peter Sloterdijk, wird seit geraumer Zeit als Vordenker, ja, als Parteiphilosoph der AfD gehandelt und goutiert. 2014 druckte »Cicero « gar Jongens »Manifest« der AfD ab, das das Ziel verfolgte, das »Gespenst« des marginalisierenden Populismus zu vertreiben: Die AfD sei vor allem eine konservativ-bürgerliche Partei, die nichts anderes wolle, als die negativen Auswirkungen der Finanzkrise von 2007 und der europäischen Rettungsaktionen zugunsten der »Pleitestaaten«, die zu einer Prekarisierung des bundesdeutschen Bürgertums geführt hätten, rückgängig zu machen. Zurück also zu Maastricht, zu (nationaler) Demokratie und wahrer (deutscher) Marktwirtschaft, zurück zu »Bürgersinn« und Leistung. Die AfD sei die »konservative Avantgarde«, die die überkommenen Werte bewahren wolle und deshalb sowohl die »Sozialindustrie« der unproduktiven Unterschichten wie das asoziale Gebaren der Finanzaristokratie und erst recht eine weitere Einebnung des Nationalen ablehne. Nur ein »national gesundetes« Deutschland könne und solle eine Führungsrolle in Europa übernehmen, die dann auch auf Zustimmung und freudige Akzeptanz stoßen werde, statt wie bislang auf Ablehnung und Ressentiment.

Dem »Cicero«-Manifest sollten eigentlich weitere Ausführungen folgen, in einem Buch wollte Jongen die AfD-Philosophie ausführlich darstellen. Erfolg und rasanten Zulauf hatte die bald in zahlreichen Landesparlamenten vertretene Partei freilich auch so, vor allem, weil sie die xenophoben und rassistischen Reaktionen weiter Teile der Bevölkerung angesichts der Flüchtlingsbewegungen nach dem August 2015 nutzen konnte. Der Vordenker selbst vertritt nunmehr Positionen, die im wesentlichen (neo-)faschistisch sind, wobei er, neben der Vernetzung mit anderen Rechtsintellektuellen, immer noch das Ziel zu verfolgen scheint, seine radikalisierten Positionen (und die seiner Partei) einem breiteren bürgerlichen Publikum nahezubringen. Am deutlichsten ist dies in einem ins Netz gestellten Vortrag, den Jongen im Februar 2017 an der Winterakademie der rechten Denkfabrik Institut für Staatspolitik in Schnellroda gehalten hat. Unter dem Titel »Migration und Thymos-Training« malt er zuerst die »psychopolitische Situation« der Gegenwart aus, um dann die Gegenwehr, die Wiederherstellung einer »imperialen Kultur«, zu skizzieren. Die Migration versteht er als großangelegten Angriff, als »hunderttausendfaches rechtswidriges Eindringen kulturfremder Menschen in unser Land«, einen »Akt der Gewalt, wie er sonst nur in Kriegszeiten vorkommt«. Die Deutschen, wie es generalisierend heißt, hätten sich, darauf trainiert, nur das Fremde, nicht aber das Eigene zu achten, zu »Knechten der Schutzsuchenden« gemacht und stünden kurz vor der »Selbstabschaffung« ihrer Kultur. Zudem würden nicht etwa die »Aggressoren«, die »auf eigene Faust und gegen geltendes Recht« eindringen, kritisiert, sondern jene Landsleute, die das Deutsche bewahren wollten. Überraschend ist dies für Jongen nicht, denn die Deutschen seien schon lange ein schwaches »Null-Subjekt«, das realitätsblind friedenspolitischen Illusionen anhänge, was den baldigen Untergang garantiere. In Deutschland fehle einfach die »Thymosspannung«, um dem »Bösen« zu widerstehen.

Der Begriff des Thymos, von Sloterdijk (Zorn und Zeit) und Francis Fukuyama (Ende der Geschichte) übernommen, stammt ursprünglich aus Platons Aufteilung seelischer Bereiche, wobei Thymos, anders als Logos/Rationalität oder Eros/Begehren, für das Leidenschaftliche oder auch Vitale, Lebenstüchtige, steht. Jongen verwendet diesen schwammigen Begriff im nationalistischen Sinn, ja, er macht ihn zum Kernbegriff seiner politischen Konzeption: Menschen mit starker Thymosspannung verteidigen das Eigene gegen das »Böse«, gegen die andere Kultur, und nur spannungsgeladene Thymos-Wächter könnten die nationalen Interessen vertreten beziehungsweise um die Vorherrschaft in der Welt kämpfen. In diesem Sinne verteidigt Jongen auch die Ausfälle der vergangenen Jahre, von Pegida bis Björn Höcke, den faschistischen Hooliganismus, die kriminellen Übergriffe auf Flüchtlingsheime. Das sei alles Ausdruck einer erhöhten (wenn auch vielleicht nicht »reinen«) Thymosspannung, die angesichts der drohenden Untergangsgefahr lebensrettend sei. Doch damit nicht genug: Um für eine nachhaltig erhöhte Thymosspannung zu sorgen, bedarf es eines neuen Kulturkonzepts auf thymotisch-biologischer oder neodarwinistischer Basis. Jongen richtet sich allgemein gegen die Moderne, womit sowohl die neoliberale Kultur des Begehrens (»Erotokratie«) und des Kommerzes als auch die verhasste Kultur der 68er gemeint sind, die durch ihren »Schuldkult« und den überzogenen Protest gegen die nach 1945 dominierende Nazi-Generation die Grundlagen des Staates ausgehöhlt hätten.

Sein Gewährsmann für die neue quasinaturwissenschaftliche Konzeption ist der Wuppertaler Philosoph Heiner Mühlmann, ein weiterer Tip des Übervaters Sloterdijk. Mühlmann zufolge entsteht »imperiale Kultur« nur, wenn es zu Kriegen und dabei zu »maximalen Stress-Kooperationen« (MSC) kommt. Ohne Krieg keine Kultur, die sozusagen das Abfallprodukt des Krieges ist. Jongen kann dies mühelos mit seiner Thymos-Konzeption verbinden: Erst der Kampf, die Abwehr des Fremden, das Streben nach Dominanz setzt Potenzen frei, emotionale Energien, die sich auch im Kulturellen niederschlagen, im Stolz auf das Eigene und so weiter. Die Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: Erforderlich sind ein starker, auf »realistische«, nicht »moralische« Durchsetzung seiner Interessen konzentrierter Staat, Militarisierung der Gesellschaft und eine Kultur der »Männlichkeit« und »Wehrhaftigkeit. Damit sind einige der zentralen Konzepte des (Prä-)Faschismus versammelt, wenngleich Jongen sich vorrangig auf Platon und einen naturwissenschaftlich argumentierenden Philosophen bezieht und die eigentlichen Gewährsleute seiner faschistischen Konzeption (Julius Evola, Ernst Jünger, Carl Schmitt, Sloterdijk und andere) nicht oder nur am Rande erwähnt. Jongen gibt sich nach außen stets als der smarte, bürgerlich-zivilisierte, vorsichtig argumentierende Vordenker. In Wahrheit soll er wohl immer noch die bürgerliche Intelligenz gewinnen, und die wird sich, wie bereits zu beobachten ist, zumindest teilweise auch für die jetzt neu vorgestellten Konzepte gewinnen lassen, solange das Ganze kaschiert bleibt.

Jürgen Pelzer schrieb in literatur konkret 2015/16 über ein satirisches Lexikon von Martin Buchholz

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