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Absolutely Famous. Der Film

16.09.2016 11:01

Regie: Mandie Fletcher; mit Jennifer Saunders, Joanna Lumley; Großbritannien/USA 2016 (Twentieth Century Fox); 90 Minuten; seit 8. September im Kino

 

Der Werdegang von Jennifer Saunders und Dawn French ist eng mit der Stand-up-Comedy verbunden, also mit einer Bühnenform, die man in Deutschland nur mit unangenehmer Billigunterhaltung verbindet. Bereits 1985 vollzogen sie mit der Sitcom »Girls on Top« aber auch den Schritt ins Fernsehen. Dort folgte 1995 die Sketchshow »French & Saunders«, die auf genauen Alltagsbeobachtungen beruhte und auf die Aktualitäten der Pop-, Klatsch- und Modebereiche ausgerichtet war, was für damalige Verhältnisse ungewöhnlich war. Berühmt wurden ihre subtilen und – es war vor der Zeit des politisch motivierten Totsparens der BBC – aufwendig reproduzierten Parodien von Spielfilmen und Musikvideos. Ihr Kunstgriff bestand vor allem darin, in alle ihre Sketche die Konkurrenz der beiden untereinander als weibliche Performer einzulesen.

An diese Art von Selbstbezug war vieles anbaubar, »French & Saunders« waren aber nicht an der schmähenden Parodie des Andersartigen interessiert, sondern an einer Comedy von Frauen und über Frauen, die eigene Defekte und Eitelkeiten per »Selbstironie« verhandelt. Dabei wurde vor allem der weibliche Körper zum wichtigen Schlachtfeld.

Alle diese Momente erschienen damals als das Politische dieser Comedy, offensichtlich gab es hier entsprechende Anliegen. Und es war das Stand-up-Comedy-Modell selbst, das ja auf einer Einheit von Konzeptarbeit und Aufführung beruht, das diese Neuheiten ermöglicht und zu erstaunlichen Ermächtigungen geführt hat. Es kann nicht oft genug betont werden, dass eine jüngere Komikerinnengeneration, zu der Amy Schumer, Melissa McCarthy oder Lena Dunham gehören, ohne diese Vorgabe völlig undenkbar wäre. (Selbst heterosexuelle Männer konnten das irgendwann nutzen, hier denke ich vor allem an Louis C.K.)

Die personelle Einheit von Schreiben und Spielen ist in den folgenden Projekten erhalten geblieben, auch in der Sitcom »Absolutely Fabulous«, die ab 1992 gesendet wurde. »AbFab«, so die gängige Kurzform, ist die Ausarbeitung eines einzelnen »French & Saunders«- Sketchs, der von einer alleinerziehenden, immerzu genervten und völlig verantwortungslosen Mutter handelte, die sich weigert, die Versprechen von ’68 aufzugeben, nämlich ewige Jugend und totalen Spaß. Genregemäß ist die Handlung oft in der Wohnküche des Drei-Generationen-Frauenhauses angesiedelt. Die Familie besteht aus einer mausgrauen, linksliberal vernünftelnden Tochter (die gegenüber ihrer infantilen Mutter selbst in die Mutterrolle rutscht) und einer Oma, die ein gemütliches und eisiges Miss-Marple-England repräsentiert. Diese familiäre Ausgangssituation wurde dann wieder einmal durch eine weibliche Kumpelbeziehung erweitert. Erst durch das Verhältnis der Hauptfigur Edina zu ihrer besten Freundin Patsy (Joanna Lumley) – strohdumm, unverschämt, divenhaft, zu jeder Schandtat bereit – hat diese Serie ihre historische Verortung bekommen. Tatsächlich geht es ihr um ein Gesellschaftsbild. Dessen Grundlage bildet die ausdifferenzierte Kultur des Konsums von Luxusgütern, die sowohl als Folge von ’68 wie des Enrichissez-vous der thatcheristischen Liberalisierungen erkennbar ist. Mit scheinbar grenzenlos verfügbaren Geldreserven und einer nicht weniger grenzenlosen Eitelkeit ausgestattet, verlieh man dem Leben Sinn durch Shoppen, Drogen und Champagner, wozu aber auch der Kult der Berühmtheit, sinnentleerten Spiritualität oder lauten Wohltätigkeit gehörte.

Allerdings ist Jennifer Saunders als Edina eben auch in Haute Couture nur ein Clown. Es ist hier ein und dasselbe, das Körperfett in teure Textilien zu stopfen und den Slapstick des Gegen-Dinge-Laufens oder Treppen-Runterfallens zu vollführen.

Hedonistisch bis zum Zynismus, materialistisch bis auf die Knochen, hat diese Serie selbst an dem teilgenommen, was der Gegenstand ihrer Karikaturen ist. Dabei konnte sie ihr hohes Humorniveau über alle sechs Staffeln halten.

Jetzt, fünf Jahre nach den letzten Episoden, wird also noch »Absolutely Fabulous. Der Film« nachgelegt. Man kann in dem halben Jahrzehnt eine Zeit des Zögerns sehen, für die es gute Gründe gäbe, da jeder weiß, dass sich TV-Formen nicht beliebig aufblasen und auf anderthalb Stunden umschneiden lassen. Um es aber gleich zu sagen: Der Film ist uneben, und es gibt auch flaue Stellen, aber er ist doch nicht das Desaster, das er leicht hätte werden können.

Aus dem Drei- ist nun ein Vier-Generationen- Haus geworden. Die Enkelin ist konsumistischer und promigeiler, Edinas Exmann inzwischen transgender, was die Helikopterehefrau sehr unterstützt. Auch wenn Regisseurin Mandie Fletcher und Drehbuchautorin Jennifer Saunders viel Einfallsreichtum in die Spielfilmform selbst investiert haben (Plot, Filmmusik, Verfolgungsjagden), funktionieren die alten Zutaten als Rückgrat noch ganz gut. Es gibt also viel glitz, Mode, und auch der Kult der Berühmtheit besteht fort. Das führt zu zahlreichen Cameo-Auftritten, wobei selbst auf dieser Ebene das Selbstplagiat nicht immer vom Selbstzitat unterscheidbar ist.

Es stimmt also mit dem Modell überein, dass es Kate Moss ist, die hier zum Angelpunkt der dramaturgischen Turbulenzen wird. Auf der Jagd nach einem neuen PR-Auftrag stößt Edina das Model auf einer Party versehentlich von einer Balkonbrüstung in die Themse. Zum Feind der Nation geworden, flieht sie mit Patsy an die Côte d’Azur, wo sie sich, obwohl von Abstiegspanik verzehrt, wieder dem guten Leben widmen.

Aber das eigentlich Berührende ist hier eher ein unterschwellig mitlaufendes Thema: die Melancholie des Zeitvergehens, des körperlichen Verfalls, des Wettbewerbs mit den nachrückenden und viel besser ausgestatteten Generationen.

Dieser Film weckt aber auch melancholische Gefühle, die nach außen greifen. So ruft er die Zeit in Erinnerung, als die britische Comedy großartig und tonangebend war und nicht totgespart und inhaltlich ausgehöhlt wie heute. Als ein weiterer und völlig unkalkulierbarer

Anlass für Melancholien spielt hier der Brexit rein. Britischer Eigensinn und Exzeptionalismus, die auch dem Pop- und Modestandort sonst nicht geschadet haben, hat eine provinzielle Schlagseite bekommen. Das liegt nun auch auf diesem Film wie ein Schatten.

Manfred Hermes

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