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Alles, was kommt

31.08.2016 15:20

Regie: Mia Hansen-Løve; mit Isabelle Huppert, André Marcon; Frankreich/Deutschland 2016 (Weltkino); 98 Minuten; seit 18. August im Kino

Die Philosophielehrerin Nathalie Chazeaux lebt den Traum aller liberalen Intellektuellen: Mit ihrem Mann und ihren wohlerzogenen Kindern lebt sie in einer geräumigen Pariser Wohnung, verfasst nebenbei Lehrbücher und trifft sich regelmäßig mit einem ehemaligen Schüler, um eloquent über möglichen Widerstand gegen den Kapitalismus zu diskutieren. Doch dann bricht alles zusammen: Ihre Tochter erzählt ihr von der langjährigen Affäre von Nathalies Ehemann, dieser gesteht reumütig und stimmt einer Scheidung zu – nach 25 Jahren Ehe. Etwa gleichzeitig entlässt sie ihr Verlag; ihre egozentrische, tyrannische Mutter landet im Krankenhaus und stirbt. Plötzlich bricht also bei aller Tragik vollkommen unerwartete Freiheit über die Frau Mitte 60 ein. Was nur damit anfangen?

Die Regisseurin Mia Hansen-Løve hat bereits in ihrem brillanten Vorgängerfilm »Eden« bewiesen, dass sie die Lebenswege und -entscheidungen von Menschen in ungewöhnlichen Situationen mit einer gewissen kühlen, aber niemals zynischen Distanz zu inszenieren vermag. Nur scheinbar besteht dabei zwischen dem jungen DJ in »Eden« und Isabelle Hupperts Figur in »Alles, was kommt« ein großer Unterschied: Beide versuchen letztlich herauszufinden, ob sie einem Leben außerhalb neoliberaler Zwänge überhaupt gewachsen wären. In »Alles, was kommt« geht dieser Reiz von Fabian (Roman Kolinka), dem ehemaligen Schüler Nathalies, aus. Der junge Akademiker konfrontiert seine saturierte Mentorin immer wieder mit radikalen Ideen, sie aber winkt nur ab: »Ich bin zu alt, um Anarchistin zu sein. Das habe ich früher schon einmal probiert.«

Schließlich aber folgt sie ihrem Protegé doch für einen Ausflug auf seine in einem Bauernhof untergebrachte Kommune. Hier schrappt Hansen-Løve ein paarmal ziemlich haarscharf am Klischee vorbei – einige Lacher auf Kosten der extrem engagierten Anarchos mit ihrer autarken Käseproduktion kann sie sich nicht verkneifen. Insgesamt aber bewahrt sich »Alles, was kommt« einen angenehm mehrdeutigen Tonfall, der Nathalies Suche nach einem neuen Bezugssystem weder idealisiert noch verunglimpft. Und so mag man auch das Ende des Films je nach Gusto als Rückfall in die Kleinbürgerlichkeit oder als bestmögliche Symbiose aller Widersprüche lesen. Tim Lindemann


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