28.01.2016 16:08
Regie: Duke Johnson/Charlie Kaufman; USA 2015 (Paramount); 90 Minuten; seit 21. Januar im Kino
Immer noch der Rede wert: ein »realistischer« Animationsfilm im Wettbewerb eines A-Festivals wie Venedig. Zumal, wenn es sich um die »Verfilmung« eines Theaterstücks von Charlie Kaufman durch Charlie Kaufman (und Duke Johnson) handelt, die via Crowdfunding realisiert werden konnte. Off-Off-Off also. Guerilla-Stop-Motion-Puppenspiel über Male-Midlife-Crisis, Depression und Ich-Dissoziation.
Der ausgebrannte Bestsellerautor Michael Stone, an Englishman in L. A., reist im Rahmen einer Lesereise nach Cincinnati, wo er vor Jahren einer Geliebten den Laufpass gab. In der Krise erinnert er sich an Bella als verpasste Chance und sucht nach Jahren den Kontakt. Die Verabredung erweist sich als ein Fiasko, ist aber immerhin anregender als die Geräusche, die von daheim zu vernehmen sind. Man muss wissen: Für Stone sehen alle »Menschen« gleich aus und sprechen mit der gleichen Stimme. Ganz wörtlich: Hieraus entspinnt sich ein geradezu kafkaesker Schrecken, wenngleich eher für den Zuschauer als für Stone, dem auf schlaffe Weise alles einerlei ist. Bis er, zurück im Hotel, auf zwei weibliche Fans trifft, die eigens zu seiner Lesung angereist sind. Stone gibt sich gesellig, plaudert etwas – und erkennt eine der beiden Frauen als in seiner Wahrnehmung »außergewöhnlich«: Lisa, keine Schönheit und mitunter ein rechter Trampel, besitzt eine eigene Stimme und ein eigenes Gesicht. Man kommt sich näher, verbringt eine lange Nacht voller Gespräche, Gesang und – o làlà! – Sex.
»Anomalisa« steckt – wenig überraschend!– voller Referenzen an die Popkultur im allgemeinen und den Kaufman-Kosmos im besonderen (»Fregoli«), ist aber für den Meister des Abgründigen und der surrealen Twists (bestes Beispiel: »Vergiss mein nicht!«) erstaunlich straight erzählt. Man muss sich wohl entscheiden: Trägt der V-Effekt des Puppenspiels hinreichend, um einen »neuen« Blick auf die nicht sonderlich komplexen, sondern eher basalen Ansichten über die Conditio humana zu erlauben? Oder enttäuscht hier erstmals ein Charlie-Kaufman-Film durch die unverstellte Banalität des Romantischen? Wäre da nicht diese japanische Puppe, die als »Toy« erworben wird, aber die Lesart zulässt, Anomalisa – die Figur, nicht der Film – sei eine reine Masturbationsphantasie.
Ulrich Kriest