15.12.2016 13:06
Regie: Sergei Loznitsa; mit KZ-Touristen und Guides; Deutschland 2016 (Déjà-vu); 94 Minuten; ab 15. Dezember im Kino
Ströme von Besuchern aus dem In- und Ausland. Gedränge. Dokumentarfilmer Sergei Loznitsa, Ukraine, lässt sie vor der Kamera passieren. Er fragt sich was: Was treibt die Menschen an? KZ-Massentourismus an einem heißen Sommertag. Regenschirme aufgespannt gegen die grelle Sonne. Kinderwagen, Kinder, junge Leute vor allem. Die Kamera steht jeweils minutenlang fest positioniert.
Die Touristen sind das Thema. Welches KZ, ist eher egal. Zufällig rückt im Hintergrund ein Gedenkstein ins Bild: Sachsenhausen also. In der zweiten Filmhälfte wird wie von ungefähr eine Stimme vernehmbar: »Es geht weiter mit der Führung. Hört auf zu mampfen. In fünf Minuten könnt ihr wieder essen.« Es geht weiter. Eine balanciert eine Flasche auf dem Kopf. Schon wieder wird in die Tüte mit den Erdnüssen gegriffen. Einige lächeln nicht – vor den Öfen im Krematorium. Selfies ohne Ende. Jemand posiert, an den Folterpfahl gepresst. Die Kamera bleibt unerbittlich stehen. Und fragt sich was.
Was? Der konsequente Regisseur sagt es nicht. Er überlässt die Antwort uns. Genauer gesagt: mir. Und mir fällt was ein, an das ich seit meinem Kindesalter – ich war so alt wie viele Kinder in Loznitsas Film – nicht mehr gedacht habe. In Lübeck, Holstentor: die mittelalterliche Folterkammer. Die Streckbank. Die Zange zum Fingernägel-Rausziehen. 70 Jahre lang ist das jetzt gespeichert, im Kopf. Was ich damit sagen will? Es ist leicht, sich darüber aufzuregen, wie Touristen sich benehmen. Oder die, die durch die Gedenkstätte führen. Warum insistiert solch einer, dass es an Fakten fehle, die belegen, dass der Krematoriumsofen je in Betrieb genommen wurde? Warum sagt er das dreimal, während Geführte sich Tränen aus den Augen wischen? Was ist eigentlich mit den Führenden los? »Die Häftlinge bekamen täglich ein Stück Brot und Wassersuppe.« Wenig später: »Pause für Toilette und halbes Sandwich!«
aDie Lösung? Da Loznitsa seinen Film nicht kommentiert, liegt es an mir. Der Film ist mir nahegekommen. Intensiv. Und ich will nicht, dass mir jemand, und sei es eine Fernsehredaktion, die Verantwortung abnimmt. Der Film ist ein großer internationaler Festivalerfolg. Und das ist keine Frage.