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Boyhood

10.06.2014 13:54

Regie: Richard Linklater; mit Patricia Arquette, Ellar Coltrane; USA 2014; 164 Minuten (Universal Pictures); ab 5. Juni im Kino
 

Seit 2002 hält Richard Linklater die Kamera auf seine Schauspieler, ein bahnbrechendes Projekt: Für den Spielfilm »Boyhood« hat der Meister des gesprächigen Films (»Before Sunrise«) jedes Jahr Menschen wie Patricia Arquette und Ethan Hawke zusammengetrommelt, um mit ihnen eine texanische Familiensaga zu drehen. Im Zentrum: der Junge Mason (Ellar Coltrane), der bei Drehbeginn sechs Jahre alt war. Linklater erzählt in über die Jahre verteilten 39 Drehtagen, wie der Junge – und sein Darsteller – 18 wird und aufs College geht.

Ja, was passiert denn so in der All-American-Familie, weiße Farbe, mittlerer Durchschnitt, in Echtzeit? Scheidung, Hochzeit, Scheidung, Hochzeit, Umzug, Mobbing in der Schule, erste Liebe, bißchen Drogen. Irak-Krieg, Britney-Spears-Video, Obama-Wahl. Wie bei Linklater üblich, gibt es jede Menge lustiger Kommunikationskatastrophen, das Setting ist eher schauwertarm. Voll der Festivalfilm, ein experimentelles Zeitgemälde. »Die Kinder von Golzow« lassen grüßen, die Kritik überschlägt sich.

Dabei ist das Projekt schonungslos. »Boyhood« zeigt eine recht gewöhnliche Umgebung, in der sich eher unspektakuläre Dinge tun. Und das bleibt dem Zuschauer natürlich nicht verborgen. Vater Mason Senior ist etwa Bluesmusiker – aber von dem Sound, den Ethan Hawke produziert, wird man nicht gerade wach. Auch wenn ich dabei Majestätsbeleidigung begehe: Die interessanteste Performance liefert Masons Mutter. Die nimmt erst zu, dann nimmt sie ab. Genau wie die Darstellerin Patricia Arquette! Kann man was mit anfangen.

Das Problem ist weder die Länge noch die Entourage, sondern daß der Film nicht recht weiß, wie und vor allem: warum. Kaum beginnt eine Episode etwas härter zu werden, bleibt sie auch schon wieder unerzählt. Weil hier alles strukturell bedingt nur angerissen wird, zwölf Jahre wollen geschafft werden.

Man würde gern wissen, was »Boyhood« will und findet es nicht heraus. Auch Andy Warhols »Empire State« steht bei jedem Langzeitprojekt Pate – da hält die Kamera acht Stunden auf die Eingangstür. Es besteht beim beabsichtigten Dokumentieren eben die Gefahr, daß die Dramatik verlorengeht. Linklater reiht aneinander, was nicht anders als zeitlich strukturiert werden kann. Am Ende fühlt man sich vom langen Draufhalten auf die Jugendzeit doch recht unberührt: von Stoff, Gags, von redundanten, müden Bildern.

Jürgen Kiontke

 

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