10.11.2016 16:07
Regie: Woody Allen; mit Jesse Eisenberg, Kristen Stewart; USA 2016 (Warner Bros.); 96 Minuten; ab 10. November im Kino
Die alte Dichotomie zwischen dem schönen und dem smarten Amerika, also zwischen Los Angeles und New York, die Woody Allen spätestens seit seinem immer noch besten Film »Annie Hall« (»Der Stadtneurotiker«) von 1977 beschäftigt, greift er in seinem aktuellen Werk »Café Society« wieder auf. Nicht weniger aber geht es um das zumeist tragische Verhältnis zwischen Kunst und dem »echten Leben«, das Allen in Filmen wie »The Purple Rose of Cairo « ausführlich seziert hat. Mit solchen nostalgischen Gedanken tuckert man als Zuschauer gemütlich wie auf einer Flussfahrt durch den neuen Film, erkennt am Ufer immer mal wieder etwas Bekanntes und Vertrautes. So funktionierten beinahe alle der gefühlt 20 Filme, die der fleißige Altmeister in maschineller Regelmäßigkeit seit der Jahrtausendwende wie beiläufig produziert hat. Jedes Jahr ein neuer Allen, same procedure as every year. Einer der denkwürdigen Ausreißer in dieser uhrwerkhaften Produktionsweise ist das unerwartet kompromisslose Drama »Blue Jasmine«, in dem Allens dahinplätschernder Augenzwinkerstil auf einmal unerwartet kühl und messerscharf erscheint. Seit diesem Aufbäumen im Jahr 2013 hat Allen drei weitere Filme gemacht: die grausig banale Romanze »Magic in the Moonlight «, den amüsanten, aber sofort vergessenen Krimi »Irrational Man« und nun eben »Café Society« – eine Hommage ans klassische Hollywood der dreißiger Jahre.
Thematisch ist der Film daher durchaus mit »Midnight in Paris« verwandt, einem weiteren dieser kleinen Geniestreiche, die Allen immer mal wieder aus dem Ärmel zaubert. Nur, dass in »Café Society« eben nicht die europäische Kunstelite des jungen 20. Jahrhunderts im Fokus steht, sondern ihr weniger tiefsinniges amerikanisches Äquivalent: die schillernden Kinostars und -produzenten an der Westküste sowie die coolen, verruchten Socialites der Ostküste. Wer Allens Werk auch nur ein bisschen kennt, mag sich vorstellen, mit welch sichtlicher Laune der Regisseur an die Konstruktion dieser beiden Welten geht. »Café Society« sieht einfach phantastisch aus; der Film ist ein perfekt inszenierter Rundum-sorglos- Trip durch fabelhafte Art-deco-Sets und -Locations.
Der Plot hingegen zeugt erneut von jener beinahe nachlässigen Simplizität der letzten Allen-Filme. Kaum betreten wir den Filmkosmos, spüren wir den milde zynischen Blick des Filmemachers, der uns darauf hinweist, hier bloß nichts allzu ernst zu nehmen. Es ist erstaunlich, dass es den beiden jungen Hauptdarstellern Jesse Eisenberg und Kristen Stewart trotz dieser Attitüde des Films gelingt, das Publikum von ihren Figuren und deren Beziehungen zu überzeugen. Eisenberg spielt den unbedarften Romantiker Bobby aus New York, der in der Firma seines Onkels, des ebenso erfolgreichen wie arroganten Hollywood-Produzenten Phil Stern (auch toll: Steve Carrell), eine Stelle sucht; Stewart gibt Sterns verführerisch relaxte Sekretärin Vonnie, die mit beiden Männern eine Affäre beginnt. Mit einer solch harmonischen Dreierkonstellation der Schauspieler im Zentrum kann ein Film kaum noch baden gehen.
Und Allen macht hier noch mehr richtig: Den mondänen Welten der Schönen und Reichen stellt er Bobbys jüdische Familie aus der Bronx gegenüber, eine sympathische Mischpoke aus knarzigen Arbeitern, schlagfertigen Hausfrauen, marxistischen Intellektuellen – und Gangstern. Bobbys Bruder Ben macht sich nämlich mit brutalen Methoden einen Ruf in der New Yorker Unterwelt, was Allen aber auch eher in Screwball-Manier denn als ernsthafte »Es war einmal in New York«-Hommage inszeniert. Als der schwärmerische Bobby in Los Angeles von seiner Vonnie schließlich einen Korb bekommt, kehrt er zurück an die heimische Küste und wird dort mit Hilfe seines kriminellen Bruders zu einem aufsteigenden Nachtclubbetreiber. Sein Café Society wird zum Hotspot der Ostküstengesellschaft, bald ist er sowohl mit Politikern als auch mit Halbweltgestalten auf du und du.
Eine charmante Nostalgie durchweht diesen Film; tatsächlich findet sich das verzückte Träumen von einer vermeintlich besseren Vergangenheit auch inhaltlich wieder: Bobby heiratet schließlich ein New Yorker Topmodel, Vonnie ehelicht Phil, beide aber können ihre kleine unschuldige Hollywood-Romanze einfach nicht vergessen. Allen lässt seinen Figuren dieses Schwelgen verhältnismäßig unironisch durchgehen, vermutlich weil er eben selber gerne schwelgt im Zauber der Epoche, im schamlos Substanzlosen. Denn das ist »Café Society« ohne Frage – substanzlos. Wo sich »Blue Jasmine« bissig den reichen »Verlierern« der Immobilienund Finanzkrise widmete und »Irrational Man« zumindest eine moralische Frage konzentriert bearbeitete, berauscht der neue Film sich und seine Zuschauer selbstvergessen an Liebe, Leid und Vergangenheit. Das Setting und die immer weniger wahrscheinlichen Plot-Entwicklungen sind zweifellos reiner Selbstzweck, um der simplen Lovestory ein angemessenes ästhetisches Podest zu bereiten.
Im Gegensatz zu »Magic in the Moonlight«, bei dem das Gerüst aus charmanten Dialogen und Setdesign in sich zusammenfällt und eine gähnende Leere offenbart, bleibt »Café Society« als filmisches Konstrukt stabil – vielleicht wirklich, weil das zentrale Paar Eisenberg- Stewart so gut funktioniert. Man lässt sich jedenfalls gern von Allen in diese opulente, wenn auch eindeutig unwirkliche Traumwelt entführen, um dort mit den sympathischen Charakteren ein wenig Zeit zu verbringen. Wie eine edle Praline hinterlässt der Film einen angenehm bittersüßen Nachgeschmack, der dann bald nach dem Verlassen des Kinos verschwindet.
Aber keine Sorge – Nachschlag ist auf dem Weg, und zwar im großen Stil: In seiner kinemathischen Schokoladenfabrik arbeitet Woody Allen nicht nur bereits am nächsten Film, sondern auch seine TVSerie »Crisis in Six Scenes« ist jetzt fertig und via Amazon Prime zu sehen. Wir werden erst wissen, wie sehr wir diese jährliche Dröhnung brauchen, wenn sie einmal ausbleibt. Möge uns das noch lange erspart bleiben.
Tim Lindemann