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Der Clown

26.02.2016 12:03

Regie: Eric Friedler; Deutschland 2016 (NDR); 114 Minuten; zu sehen am 5. März um 22:35 Uhr im NDR

»Man kann nicht Chaplin für große Kunst halten, bei ›It Happened one Night‹ noch leicht amüsiert die Augenbrauen hochziehen und Jerry Lewis blöd finden.« Für Frieda Grafe galt das 1972 als ausgemacht. Uns Nachgeborene, die die Lewis-Klassiker der Fünfziger und Sechziger eher im Fernsehen sahen, hat immer etwas erstaunt, welchen Status der »total-film-maker« bei der zeitgenössischen Kritik, der französischen zumal, genoss. Das hat auch damit zu tun, dass Lewis zwischen dem kommerziellen Misserfolg »Wo, bitte, geht’s zur Front?« (1970) und dem völlig misslungenen, aber kommerziell erfolgreichen »Alles in Handarbeit« (1980) als Auteur nicht präsent war. Womit wir beim Lost Movie »The Day the Clown Cried« wären, den Lewis 1972 in Frankreich und Schweden drehte, aber nie öffentlich zeigte. Es war der Versuch, seine zuletzt geschrumpfte Fanbase mit einem unerwarteten Film zu überraschen und sich dem Thema Holocaust mit den Mitteln des Humors zu nähern. Der Plot, wiewohl aufwendig und kilometerintensiv recherchiert, war denkbar simpel: Ein Hitler-kritischer Clown (Lewis) kommt ins KZ und wird dort zum Freund jüdischer Kinder, die er mit seinen Späßen unterhält und schließlich in die Gaskammer begleitet. Kurz vor Abschluss der Dreharbeiten verließ Lewis das Set und ward nicht mehr gesehen. »The Day the Clown Cried« sollte in Cannes Premiere feiern, aber bis heute hat niemand den Film, sollte er überhaupt fertig geworden sein, gesehen. Lewis, am Stoff gescheitert und von der Wucht der Geschichte überfordert, versank für den Rest der Siebziger in Depressionen und sprach höchst selten, und wenn, dann ungern, über den Film, der, wie man so sagt, zum Mythos wurde.

Dieses Mythos hat sich der NDR-Fernsehdokumentarist Eric Friedler angenommen: Er hat Lewis und seine Mitarbeiter zum Gespräch getroffen, die Archive befragt und die mittlerweile in Ehren ergrauten Schauspieler dazu gebracht, einzelne Szenen vor laufender Kamera nachzustellen. Mitunter wähnt man sich beim Sehen von »The Clown«, den die ARD am 3. Februar ausgestrahlt hat und anlässlich Lewis’ 90. Geburtstag am 5. März um 22.35 Uhr ein weiteres Mal zeigt, wie in einer dieser Chartshows, wo einem aufdringlich Scheiße für Gold verkauft werden soll. Was nämlich von »The Day the Clown Cried« zu sehen ist, ist nicht provokant, nicht böse, nicht komisch, sondern in seiner forcierten Sentimentalität schlicht misslungen und peinlich. Dass der Perfektionist Lewis dies bemerkt und die notwendigen Konsequenzen gezogen hat, ehrt ihn. Mag sein, dass die Zeit noch nicht reif für das Konzept des Films war.

Mag sein, dass Roberto Benigni die alte Idee geklaut hat und mit dem vergleichbar schlechten »Das Leben ist schön« 1997 immerhin den Zeitgeist auf seiner Seite wusste. Aber die sehr, sehr langen 115 Minuten von Friedlers Dokudrama stellen vor allem eins klar: Nicht jedem Mythos ist damit gedient, noch einmal genau unter die Lupe genommen zu werden.

Ulrich Kriest

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