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Der Papst ist kein Jeansboy

15.07.2015 10:37

Regie: Sobo Swobodnik; mit Hermes Phettberg; Österreich/ Deutschland 2011 (W-Film); 77 Minuten; ab 2. Juli im Kino

Im Februar 2011 kommt der Berliner Filmemacher Sobo Swobodnik ≫mich besuchen und ein kleines Filmchen drehen≪, wie der Wiener Kolumnist und Autor, Schauspieler und ehemalige Talkshowmoderator Hermes Phettberg in seinen ≫Gestion≪ genannten täglichen Aufzeichnungen einen Monat zuvor vermerkt. Um dann unter dem Eintrag ≫Mi, 9.2.11, 12:02, E. a. R.: Zwiebelsuppe, Spaghetti mit Sojabolognese, Pudding≪ vorfreudig zu notieren: ≫Sobo kommt am Die: 15.2.11: 13 Uhr und wird meinen laufenden Untergang dokumentieren, JUHU, was kann ein Exhibitionist mehr sich wünschen!≪

E. a. R. steht für Essen auf Rädern; dass Phettberg diesen sozialen Dienst in Anspruch nehmen muss, ist den Folgen von drei Schlaganfallen und einem Herzinfarkt geschuldet, die der einst so stattlich bewamste Mann erleiden musste. Von seiner körperlichen Pracht ist dem 1952 Geborenen nicht viel geblieben. Auch Sprech- und Erinnerungsvermögen haben gelitten, so jedenfalls der Eindruck, den man aus der Dokumentation gewinnen muss. An fünf aufeinanderfolgenden Tagen hat Swobodnik Phettberg ≫bei jedem Schritt abgefilmt ≪ und so in sehr stillen, geduldigen und teils sehr berührenden Schwarzweißaufnahmen den beschwerlichen Alltag des mental überhaupt nicht gebrochenen Lebenskünstlers eingefangen.

Es wehte ein Luftzug, der Sobo Swobodnik zu mir geweht haben muss, es geschah … eine Vertrautheit zwischen Sobo und mir, dass ich mir vornahm, Sobo, wie es nur geht, zu unterstützen.

Von seinen sexuellen Interessen ganz zu schweigen, die Phettberg gern bis ins Detail skizziert und in ihrer schwul-katholisch-sadomasochistischen Ausprägung auch öffentlich praktiziert hat. Nicht von ungefähr greift der Filmtitel Phettbergs allerliebsten Fetisch auf. Schließlich lassen ihn auch ≫die Blue Jeans Sobo Swobodniks plus dessen spitze Stiefel≪ alles andere als unberührt. Das ≫1-Personenfilmteam≪ weiß manch erotischen Taumel in Phettberg auszulosen: ≫Ich bin parat für den geilen Body des göttlichen Sobo Swobodnik≪; was die Arbeit des Filmers zweifellos erleichtert haben dürfte, sie aber nicht weniger strapaziös gemacht hat: ≫Voller Intensivität durfte ich den Schweiß der Anstrengung Sobo Swobodniks Ausdünstung einatmen!!!≪, jubelt Phettberg am letzten Drehtag.

Im Film allerdings ist von der knisternden Atmo zwischen Team und Protagonist wenig zu spüren. Der Regisseur rückt eher den körperlichen Verfall Phettbergs in den Vordergrund. In langen Einstellungen sieht man den Zauselhaarigen in kleinsten Schritten durch die Wohnung trippeln. Ohne die Kamera abzuwenden, zeigt Swobodnik, wie der halbnackte Phettberg unter sichtlicher Anstrengung seinen immer noch verstörend voluminösen Hangebauch mit einem einigermaßen bequemen Sitz seiner Hose zu vereinbaren sucht. Unendlich beschwerlich scheint auch das Treppensteigen zu sein. Dann sieht man auch noch Phettberg auf einer belebten Straße mitten in Wien Lulu machen, wie er das Wasserlassen nennt; eine extreme Blasenschwache zwingt ihn, es ständig so zu erledigen.

Du musst dir vorstellen, ich musste trotz Friedhof ein dutzendmal Lulu! Sobo machte mir die Mauer, wie wenn wir ein altes Gaunerpärchen waren.

Und es ist gut und richtig, das alles ausgiebig zu zeigen. Denn siehe, das Leben, und insbesondere das gesundheitlich beeinträchtigte, ist nun mal häufig eine von solchen Entwürdigungen bestimmte ≫Drecksau≪ (Horst Tomayer). Wo sonst erfährt man davon schon? In den gängigen Darstellungen der als lebenswert propagierten hiesigen Verhältnisse mit den immergleichen Jungen, Adretten und Leistungsträgern im Mittelpunkt kommen solche Wirklichkeiten nicht vor.

Gut tut aber auch zu sehen, mit wie viel Geist und Willenskraft der ≫Scheiterhaufen≪ Phettberg dem Elend seiner versehrten Körperlichkeit begegnet und – ≫ja genau, 109 werd ich, beinhart≪ – nicht darin nachlasst, den von Schlag und Infarkt gerissenen Wunden zu trotzen. So kann man ihm in einer gefühlt minutenlangen Szene dabei zusehen, wie er in seinem Hirn nach dem Wort Pfirsichkompott fahndet. Oder wie er nicht weniger ausdauernd im noch erstaunlich flinken zehnfingrigen Tippverfahren seine täglichen Protokolle erstellt. Auszüge daraus lasst Swobodnik im Off von dem Schauspieler Josef Hader lesen, was dem Zuschauer bei der weiteren Annaherung an Phettberg enorm hilft.

Und ich würde dringend gerne wissen wollen, was die Welt zu tun gedenkt, dass die Menge an Bienenvölkern aufhören auszusterben. Albert Einstein rechnete aus, dass fünf Jahre nach der letzten Biene die Menschen zu leben aufhören!? … Ich stell mir also vor, wir sitzen alle auf allen Pflanzen mit Zuckerstreuern und bestauben, statt der toten Bienen, die Blüten?

Nicht ganz so hilfreich gerat der Versuch, dem Publikum weitere Facetten Phettbergs durch vier Wegbegleiter zu erschließen, die er eigens zu Interviews bittet. Sie gehören zu den schwächeren Strecken des Films. Die als ein weiteres gestalterisches Element insertierten Schrifttafeln, auf denen Kontaktanzeigen aus verschiedenen öffentlichen Wiener Toiletten zitiert werden, sind höchstens insofern interessant, als sie sexuellen Provinzlern eine Ahnung davon vermitteln, was so abgeht in den Klappen Wiens.

Sehr viel für die vertiefende Beschäftigung mit dem Phanomen Phettberg bringen aber seine frei im Internet abrufbaren so klugen wie komischen Tagebücher (www.phettberg.at/gestion.htm). Als Begleitlektüre zum Film empfehlen sich speziell die hier zitierten Protokolle, die der Protagonist vor, während und nach den Dreharbeiten zwischen Januar und Mai 2011 erstellt hat. ≫De facto lauft ja ein Duell: Sobo filmt mich, und ich be-gestioniere (blogge) Sobo!≪

Fritz Tietz

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