25.08.2015 15:49
Regie: Anna Muylaert; mit Regina Casé, Camila Márdila; Brasilien (Pandora); 110 Minuten; seit 20. August im Kino
Im Nobelviertel Saõ Paulos residiert die alte Oberschicht Brasiliens hinter hohen Zäunen. Val ist ein Fremdkörper in dieser Umgebung: Sie ist Haushälterin des steinreichen Bohèmes Carlos und seiner modedesignenden Frau sowie Kindermädchen für deren Sohn. Ihre eigene Tochter Jéssica musste Val im ländlichen Nordosten Brasiliens zurücklassen, der Kontakt bricht schnell ab. 13 Jahre später zieht Jéssica zum Studieren nach Saõ Paulo und kommt vorübergehend im winzigen Dienstmädchenzimmer ihrer Mutter unter.
Im Haus herrscht eine strenge Hierarchie, an deren unterem Ende Val steht. Jéssica muss schnell lernen, dass das gönnerhafte Auftreten der Hausherren heuchlerischer Schein ist. »Sie bieten uns nur Dinge an, weil sie wissen, dass wir ablehnen«, bleut Val ihr ein. Patriarch Don Carlos mag Guarana-Brause trinken und ausgewaschene T-Shirts amerikanischer Indiebands tragen, doch kann seine Hipsterattitüde die Fratze der Bourgeoisie nicht verdecken. Während Val die impliziten Gesetze verinnerlicht hat, zwängen sie Jéssica ein. Die selbstbewusste Frau provoziert den Klassenkonflikt, auch wenn ihr Interesse für Architektur und Kunst ihr die Aufmerksamkeit der männlichen Familienmitglieder zuteil werden lässt.
Nach der langen Trennung begegnen sich Val und ihre Tochter als fremde Frauen, während Val zum Sohn ihrer Arbeitgeber ein engeres Verhältnis hat als dessen eigene Mutter. Der linear erzählte Film ist jedoch kein konservatives Plädoyer für heimische Kindererziehung. Vielmehr zeichnet die brasilianische Regisseurin Anna Muylaert ein feines Bild der familiären Entfremdung unter kapitalistischen Bedingungen. Die Chefs mögen noch so häufig versichern, dass Val längst Teil der Familie sei – sie bleibt eine Untergebene.
Die Protagonistinnen begreifen schließlich, etwas kitschig inszeniert, dass der Bruch mit der herrschenden Klasse der einzige Ausweg aus repressiven Strukturen ist. Unübersehbar die Analogie zur politischen Entwicklung Brasiliens, wo sich die Unterdrückten einst viel von ihren Präsidenten Lula und Dilma erhofften, bevor ihre Enttäuschung sie zu Protesten bewegte, die bei der Fußball-WM im letzten Jahr unüberhörbar wurden.
»Ich bin nicht besser als sie – aber auch nicht schlechter.« Jéssica hat ihre Hoffnung in die Versprechen der bürgerlichen Demokratie noch nicht ganz verloren. Doch da dämmert ihr schon, dass der Kompromiss zwischen so unterschiedlichen Interessen nie möglich sein wird.
Marten Brehmer