12.01.2017 10:58
Regie: Chris Kraus; Deutschland/ Österreich/Frankreich 2016 (Piffl); mit Lars Eidinger, Adèle Haenel; 125 Minuten; ab 12. Januar im Kino
Wie geht’s eigentlich der Holocaust-Forschung? Die geht mit der Zeit und muss Drittmittel einwerben, um den nächsten großen Auschwitz-Kongress abhalten zu können. Ab sofort steht die Holocaust-Forschungsstelle in Ludwigsburg bei Stuttgart für Firmenevents zur Verfügung. Und Kongresshauptsponsor Daimler-Benz würde stark schwäbelnd sogar noch 5.000 Euro drauflegen, wenn die Schirmherrin, eine Überlebende, sich einen Mercedes-Stern ansteckte.
Die Schirmherrin reagiert überrascht: »Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass ein von Steuergeldern finanziertes Institut zur Erforschung des deutschen Völkermords bereit und fähig ist, an meinen jüdischen Geschäftssinn zu appellieren! Noch dazu mit solchen Summen!« Nur kein Opfergejammer! Täterenkel Totila Blumen reagiert empört und beschimpft die Überlebende: »Sie haben ja wirklich keine Ahnung, was den Juden angetan wurde!« Totila hat sich der Holocaust- Forschung verschrieben. Der erfolgreiche Wissenschaftler, als Denunziant von der eigenen Familie verstoßen, hat eine konfliktscheue Ärztin geheiratet, wegen Impotenz ein afrikanisches Kind namens Sarah adoptiert und ist zum hypermoralischen Misantrophen geworden: »Ich bin Holocaust- Forscher. Ich verdiene mein Geld damit, negativ zu sein.« Man kann sagen: Er hat seine Neurosen mit »allen Toten des Reiches« (Alexander Kluge) verknüpft.
Gleiches gilt – allerdings aus der Opferperspektive – für Zazie, die französische Praktikantin, die Totila zur Seite gestellt wird. Eine tempo- und pointenreiche und für deutsche Verhältnisse erstaunlich treffsichere Screwball-Komödie vor dem Hintergrund des Holocaust ist ein riskantes Unterfangen, weil dem Publikum zugemutet und zugetraut wird, reflektiert lachen zu können. Dem Filmemacher Chris Kraus war es nach eigener Aussage um eine »Ode an die Gestörten und ihre Störungen« zu tun, nicht um eine »Klage über die Verbrecher und ihre Verbrechen«. Die muss man aber mitdenken. Das Ganze funktioniert nicht zuletzt dank der beiden herausragenden Hauptdarsteller mehr als 80 Minuten prächtig, danach verliert »Die Blumen von gestern« Faden und Punch.
Ulrich Kriest