21.04.2016 11:00
Regie: Thomas Vinterberg; mit Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen; Dänemark 2015 (Prokino); 111 Minuten; ab 21. April im Kino
Den Wunsch nach Freiheit löst eine luxuriöse Immobilie aus. Ein Architekt hat ein Haus geerbt. Es käme ihm aber übertrieben vor, dort mit seiner langjährigen Freundin und einer Tochter tatsächlich einzuziehen. Allein die Heizkosten! Aber Ulla, eine prominente Nachrichtensprecherin, noch nicht so ins Starre resigniert wie Erik, erkennt die Gelegenheit, Schwung in eine gealterte Beziehung zu bringen. Wir schreiben das Jahr 1975, es liegt also nahe, über alternative Formen des Zusammenlebens nachzudenken, deshalb schlägt sie vor, in diesem Haus eine Kommune, WG, Großfamilie oder, wie es der Originaltitel etwas neutraler nennt, ein »Kollektivet« zu gründen.
Der Grundsatzentscheidung folgen Vorstellungsgespräche. Es kommen Hippiekarikaturen ins Haus, und dabei bieten sich, da Besitzer Besitzer bleiben, erste Gelegenheiten zur Machtausübung. Schließlich werden aber doch Verträge geschlossen, und dann wohnt eben ein knappes Dutzend Menschen unter einem Dach zusammen. Es wird organisiert, geredet, viel gelacht, vor allem bei Tisch. Ulla hat es geahnt: Das wird spannend werden.
Diese wohlwollende Erwartung wird schon bald enttäuscht, vor allem für die Zuschauer. Lässt sich der Film noch mit großer Leichtigkeit an, so beginnt sein Fluss nach dem Einzug der Mitbewohner deutlich zu stocken. Kaum ist die Gruppe zusammengestellt, zerfasert das Geschehen. Es finden keinerlei interne Auseinandersetzungen statt; sexuelle Genüsse, womit man »Kommune« schließlich auch assoziieren könnte, fallen erst recht nicht ab. Selbst die lebhafte und unternehmungslustige Ulla hat nichts vom Angebot der neuen Männer um sie herum.
Während sich das Kollektiv statt dessen im Klein-Klein der Haushaltsführung auslebt, müssen Gründe für (sexualitätsbedingte) Konflikte von außen zugeführt werden. Dabei spielt Erik die entscheidende Rolle. Dem ist die häusliche Veränderung so gut bekommen, dass sich das nach außen projiziert: Eine seiner Studentinnen macht ihn an. Er gibt sich hin, die beiden verlieben sich und werden ein Paar. Dass es die junge Frau war, die den ersten Schritt getan hat, soll den Einwand entkräften, es hätten hier vor allem männliche Wunschvorstellungen oder vergleichbare Voreinstellungen am Drehbuch mitgeschrieben. Allerdings bleibt die Perspektivierung deutlich genug: Die neue Freundin ist so blond und langhaarig wie die alte, nur eben 30 Jahre jünger. Während also Erik seinen zweiten Frühling genießt und die junge Frau ins Haus einziehen lässt, versucht Ulla auf den Liebesentzug zuerst großherzig und neidlos zu reagieren, kollabiert dann aber unter der Last ihrer Selbstkontrolle.
Durch solche zwischenmenschlichen Verwirrungen gerät etwas in den Hintergrund, dass der Titel »Die Kommune« auch Erwartungen an gewisse Verallgemeinerungen weckt. Man fühlt sich schon auch auf Vinterbergs »Das Fest« von 1998 zurückverwiesen, zumal es Überschneidungen in der Besetzung gibt (Ulrich Thomsen, Trine Dyrholm). Aber es sind vor allem gewisse Seitenblicke auf Lars von Triers »Idioten« oder »Dogville« bemerkbar. Diese Filme machen ebenfalls abgegrenzte Situationen zur Basis für Gesellschaftsmodelle, mit denen der Regisseur Fragen nach Anarchie und Gesetzgebung, Macht und Sexualität, Freiheitlichkeit und Eigennutz stellt. Die Prämisse der Trierschen Spielanordnungen war: Selbst in einer durch Verträge oder Gerechtigkeitsvorstellungen gesicherten Umgebung drängt alles in einen Naturzustand, in dem die Affekte und ganz allgemein die menschliche Natur in einer Weise agieren, die vorab festgelegt, unbeweglich und unveränderlich ist.
Dieses Sortiment Trierscher Prämissen soll sich wohl auch in »Die Kommune« durchdrücken. Dort wirkt das jedoch nur noch wie ein sentimentaler Nachhall oder der Versuch, an gute Zeiten zu erinnern. Obwohl hier alles schlichter, weniger drastisch und stumpfsinniger abgemischt ist, wird weiter der 68er-Allergie gefrönt, soziale Experimente oder alternative Lebensweisen als unnötig, lächerlich oder undurchführbar gekennzeichnet. Man muss in »Die Kommune« also nicht damit rechnen, dass Menschen, einzeln oder in Gruppen, Transformationen durchlaufen. Wo es trotzdem zu Bewegungen kommt, ist das Kollektiv daran eher unbeteiligt. Dafür wird diese Kommunengeschichte (sie hat vor ein paar Jahren zahlreiche deutschsprachige Bühnen mit Stoff versorgt) von der einer Kleinfamilie usurpiert.
Das heißt, von der Ambition, verallgemeinerbare Aussagen über das Soziale zu machen, ist nur die Tendenz zum Menscheln übriggeblieben. Auf diesem Gebiet ist man allerdings durch amerikanische Filme und TV-Serien derart versaut (die können das immerhin), dass man sich mit europäischen Ableitungen schwertut. Sowieso erwartet man von einem Arthouse-Film nicht, dass eine Mutter zur Tochter und diese zur Mutter »Ich liebe dich« sagt, wie das in »Die Kommune« geschieht. Durchseelte Blicke sind inzwischen allerdings überall die unvermeidbare Norm der Affizierung. Hier werden sie manchmal sogar so eindringlich gesetzt, dass man sich ihrer Wirkung nur entziehen kann, indem man die entsprechenden eigenen Wahrnehmungsorgane auf Kacheln im Bildhintergrund oder auf die Untertitel richtet. »Die Kommune« tradiert eine auch in Deutschland seit langem geltende dramatische Gewissheit, derzufolge sich durch Herumfuchteln und Geschrei Höhepunkte der Dringlichkeit und Expressivität markieren lassen.
Unausgewogenen Affektlagen entsprechen Unwuchten auf anderen Gebieten. In »Die Kommune« bleiben die Figuren blass, die meisten Themen unausgeführt. Und während dem Polemisieren gegen ’68 jeder Neuigkeitswert abgeht, laufen mögliche Elemente für eine Abstrahierbarkeit des Stoffs beiläufig ins Leere.
Vinterberg macht tendenziell ironische Filme, denen aber die Ironie abhanden gekommen ist. Ersatz findet dieses Filmschaffen, indem es sich an die Anliegen und Ansprüche der eigenen zivilen Klasse anschmiegt. So zeigt sich immerhin, dass sie ihre Probleme schon an den Haaren herbeiziehen muss, um etwas wie Dramafähigkeit zu erlangen.
Manfred Hermes