13.06.2014 14:00
Regie: Buket Alakuş; mit Idil Üner, Sesede Terziyan; Deutschland 2013 (NFP); 96 Minuten; ab 12. Juni im Kino
Jeder hat seine Perversionen. Manche Leute geilen sich an Florian Silbereisen auf. Andere werden high, wenn sie an druckfrischen Prospekten schnüffeln oder der Hund mittags mit am Eßtisch speist. Dagegen wirkt Hatice fast noch harmlos. Sie steht einfach nur auf blonde, blauäugige deutsche Männer, obgleich sie aus einer türkischen Familie stammt. Da der Mensch seine Neigungen nicht immer im Griff hat – und manche davon weniger harmlos sind als Hunde, die vom Teller essen –, riet Immanuel Kant, diese aus Eingeweiden und Emotionen generierten Begehren lieber gleich durch die Pflicht zu ersetzen.
Diese Pflicht nun kann etwas Universelles sein, oder, was Kant nicht zu verhindern wußte, ein aus Tradition und Sitte geborener kultureller Murks. So wie in den meisten Familien. Da unterscheiden sich die Coşkuns gar nicht so sehr von den Meiers. Das zumindest will uns Buket Alakuş’ Multikultikomödie »Einmal Hans mit scharfer Soße« anschaulich illustrieren. Die deutsch-türkische Regisseurin, bekannt durch das Brustkrebsdrama »Eine andere Liga«, hat Hatice Akyüns gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2005 verfilmt – ein Buch, das schon aufgrund seiner Exkurse über High Heels definitiv nicht zum Lesekanon hochtrabender Intellektueller zählt, aber dennoch in vielen Feuilletons besprochen wurde (siehe auch KONKRET 3/06).
Akyün beschreibt darin das Leben einer in Deutschland aufgewachsenen Türkin und ihrer Familie als chaotische Posse zwischen Anpassung, Rebellion und Menschenliebe. Ehrenmorde und Islamismus, verhüllte Weiber und herrschsüchtige Männer, Neonazis und Faschisten kommen darin nicht unbedingt vor. Kurz: Akyüns Buch unterscheidet sich deutlich von dem, was man von einer Autorin mit »Migrationshintergrund« hätte erwarten können. Das war ihr wohl bewußt. Sie selbst sprach einmal davon, daß sie beim Schreiben des Romans befürchtet habe, die kulturellen Konflikte zu verharmlosen.
Dieselbe Angst aber könnte jeden Komödienschreiber oder -filmer quälen. Liegt es doch im Wesen des Genres, die Umstände des Lebens ins Groteske zu verzerren, sich einen Spaß aus allem zu machen und den Respekt vor den Menschen als Krone der Schöpfung sausen zu lassen. Jeder Dissens, der die Figuren entzweit, wird ein Stück weit geleugnet, denn die Komödie, so sie ihre Schubkraft nicht aus menschenverachtenden Klischees bezieht, betrachtet das Weltgeschehen aus einer liebevollen Distanz. Aus der Ferne wird jeder Mensch zur Marionette, jede Kluft zu einem winzigen Spalt. So auch die Divergenz zwischen deutschem und türkischem Alltag.
In Alakuş’ Filmversion von Einmal Hans mit scharfer Soße treffen jedoch nicht nur – plump gesagt – nationale Gegensätze aufeinander, sondern auch strukturelle: Stadt und Land. Die deutsch-türkische Hauptfigur Hatice Coşkun lebt als Journalistin im hippen Berlin. Ihre Familie, die einst aus Anatolien in die Bundesrepublik kam, hat sich in einem Reihenhaus in Salzgitter niedergelassen. Niedlicher Garten, viel Platz zum Grillen und ein mit Bildern und Schränken vollgestopftes Wohnzimmer. Da spielt es schon fast keine Rolle mehr, ob die heimelige und zugleich erdrückend miefige Stube nun deutsch oder türkisch ist. Irgendwie sehen sie doch alle gleich aus.
Auch der Konflikt, der die muntere Posse eineinhalb Stunden lang problemlos trägt, kommt uns allen irgendwie bekannt vor. Hatice ist mit ihren 34 Jahren die älteste Tochter der Coşkuns. Nun besagt eine konservative Regel: Erst muß die Alte heiraten, bevor die Jüngeren unter die Haube dürfen. Letzteres will vor allem Hatices Schwester Fatma. Sie ist schwanger und der Familienpatriarch Ismail könnte das bald an einer Wölbung des Bauches erkennen. Hatice jedoch hat soeben mit ihrem deutschen Freund Schluß gemacht, da er ihr mit seiner Abneigung gegen Miniröcke fast schon zu türkisch wurde. Nun muß also schnell ein neuer Macker her, damit sich Hatice zum Schein verloben kann – und Fatma kein uneheliches Kind zur Welt bringt.
Während die Heiratspolitik der meisten deutschen Familien heute zumindest vordergründig lax ist (unterschwellig allerdings spielen sich Dramen und psychosoziale Gewaltexzesse ab), gibt es in der Türkei mehr tradierte Grundsätze, die eine Familie unbedingt einhalten muß. Diese Diskrepanz speist den komischen Konflikt Hatices: Die turnt fortan wie dereinst Peter Alexander durch eine rasante Verwechslungs- und Täuschungskomödie. Während sich Alexander in den Sechzigern seiner Angebeteten oft nur im Frauenkleid nähern durfte, mutiert Hatice, wenn sie zu ihren Eltern fährt, von der schicken Dame zum alten Muttchen: Der Mini weicht dem »extralangen Vaterrock«. Da sie so schnell keinen neuen Mann findet, muß kurzerhand ihr schwuler Kumpel als potentieller Verlobter herhalten, was freilich in die Hose geht. Immerhin akzeptieren die Eltern, daß Hatice einen deutschen Michel lieber mag als einen leidenschaftlichen Türken.
Buket Alakuş bedient sich großzügig im deutschen und internationalen Komödienfundus. Da mischen sich die ausgelassenen Momente des Nachkriegsfilms mit einem modernen Problembewußtsein: Kulturklüfte, Migration etc. Den Konflikt allerdings behandelt die Regisseurin nicht, indem sie ins Tragisch-Betroffene abschweift, sondern indem sie noch alberner wird. Die heitere Versöhnlichkeit, mit der »Einmal Hans mit scharfer Soße« patriarchale Regeln und moderne Freiheit, Religion und Aufklärung unter einen Hut bringen will, obwohl das logisch völlig unmöglich ist, erinnert an Adam Sandler. Der löste 2008 in »Leg dich nicht mit Zohan an« mit Slapstickeinlagen und Pennälerwitzen den Nahostkonflikt. Selbstverständlich funktioniert dieser Ansatz zunächst nur in der Kunst, da er – ganz im Sinne der Komödie – die Gegensätze negiert und das Gemeinsame betont, die Realität quasi ihrer Dialektik und Wahrhaftigkeit beraubt.
Dem Film gelingt es jedoch, trotz und gerade wegen seiner Gleichmacherei, ein Stück Wahrheit über die westliche Gesellschaft offenzulegen. Die Probleme der Hatice speisen sich eben nicht nur aus religiösem Murks und quasi mittelalterlichen Sippschaftsregeln. Sie speisen sich aus einem noch immer nicht bewältigten Patriarchat, das die Frau niemals als Ganzes, sondern stets nur als Anhängsel, Unvollkommenheit und auszurottende Größe begreift. Und da muß auch der Westen noch kräftig dazulernen.
– Katrin Hildebrand –