27.04.2016 16:08
Regie: Marcie Begleiter; USA/Deutschland 2016; Mit Nicolas Serota, Robert und Sylvia Plimack Mangold, Richard Serra, Dan Graham, Hans Haacke; ab 28. April im Kino
Wie eine Dokumentation drehen über jemanden, der seit vielen Jahren tot ist? Man nehme Fotos und Filmaufnahmen in Schwarzweiß bis Vintage, einige Bekannte und Expertinnen und Experten, die erzählen und analysieren - und doch bleibt die Person so farblos wie die verwendeten Bilder. Marcie Begleiter, Designerin, Illustratorin, Autorin des weltweit an Filmschulen verwendeten Standardwerks From Word to Image. Storyboarding and the Filmmaking Process, zeigt in ihrer Dokumentation über Eva Hesse auf eindrucksvolle Weise, dass die dargestellte Person nicht blass und schemenhaft bleiben muss, gefangen in den Erzählungen der Interviewten, sondern beinahe aus dem Film heraustreten kann.
Moment - Eva Hesse? Wer war das noch gleich? Eine der innovativsten Vertreter/innen der New Yorker Kunstszene der sechziger Jahre. Nie gehört? Einigen könnte sie durch die Ausstellung „One More than One“ 2013 in der Hamburger Kunsthalle ein Begriff sein. Diese war auch Anstoß und Ausgangspunkt für den Film; mit ihr kam Hesses Kunst an den Ort ihrer Geburt. Begleiter lässt ihre Doku jedoch nicht in Hamburg beginnen, sondern in New York - mit der 16jährigen, die unbedingt Künstlerin werden will. Ihre Schwester, Helen Hesse, die im Film eine wichtige Rolle spielt, erzählt von Evas Enthusiasmus, unterlegt von Fotos und Filmaufnahmen der Hesses und der Stadt. Doch was der Porträtierten wirklich Plastizität und Präsenz verleiht und die Kommentare anderer immer wieder übertönt, sind ihre eigenen Aufzeichnungen, die die Regisseurin abgefilmt hat und vorlesen lässt: Tagebuchnotizen und Briefe, die Hesses Wünsche und Sehnsüchte, ihre Ängste und Zweifel offenbaren.
Nach Abschluss der renommierten Cooper Union findet Hesse Anschluss an die New Yorker Kunstszene und heiratet Tom Doyle, einen Bildhauer. Der wird 1965 nach Deutschland eingeladen, um dort an seinen Skulpturen zu arbeiten. Hesse zögert, entschließt sich aber, ihn zu begleiten. Während der ersten Tage in Deutschland quälen sie Alpträume, die Begleiter schattenhaft illustriert. Die Erklärung, die man längst erahnt, folgt: Knapp waren Eva Hesse und ihre Schwester zusammen mit ihren Eltern 1939 den Nazis nach New York entkommen. Der Rest der jüdischen Familie, der in Deutschland zurückgeblieben war, wurde ermordet. Während ihres Deutschland-Aufenthalts spürt Hesse ihrer Familiengeschichte in Hameln und Hamburg nach, eine Reise in die eigene Vergangenheit, die sie sehr belastet und über die man gerne mehr erfahren würde: über die Begegnungen mit den Menschen vor denen sie einst fliehen musste und die ihr nun den Zutritt zu ihrem Geburtshaus verwehren. Der Film geht allerdings nicht näher darauf ein, deutet eher an, etwa durch den Verweis auf Hesses psychische Probleme und deren Relevanz für die Interpretation ihrer Werke.
Gleichzeitig markierte ihr Aufenthalt einen Bruch in ihrem Werk und einen Aufbruch zu neuen Ausdrucksformen, weg von der Malerei hin zur Skulptur. Skulpturen jedoch, die mit dem Dagewesenen brachen, minimalistisch waren und doch den Minimalismus überwanden. Hesse avancierte zur Pionierin der Arbeit mit neuen, industriellen Materialien wie Latex, Fiberglas und Plastik, die sie zu repetitiven, komisch bis absurden und doch so organisch anmutenden Gebilden formte. „Accretion” von 1968 etwa, vergilbende Röhren aus Glasfaser und Fiberglas, an eine Wand gelehnt, oder „No Titel“ (1969/70): ein Wirrwarr aus Seilen, ein anscheinend dem Zufall und dem Verwittern überlassenes Netz, mitten im sterilen Raum der Galerie. Diesen neuen Verfahren verfolgt Begleiter bis ins Detail nach, rekonstruiert die Entwicklung der Werke durch Aufnahmen der Arbeitsprozesse und ein ausführliches Interview mit Hesses damaligen Assistenten. Gleichzeitig führt sie die Zuschauer mit der Kamera auf eindrückliche Weise an die fertigen Werke heran.
Auch der Sexismus der Kunstwelt ist Thema: Hesse erhielt weniger Aufmerksamkeit als die Männer um sie herum und „genoss“, was die Guerilla Girls auch 30 Jahre später noch sarkastisch als „advantages of being a woman artist“ auflisten: „Being reassured that whatever art you make it will be labeled feminine.“ Eine Zuschreibung, gegen die sich Hesse vehement wehrte. Ihre Antwort auf die Diskriminierung, gekritzelt auf den Rand eines Blattes: “The way to beat discrimination in art is by art. Excellence has no sex!“
Ihr Schaffen, ihre unglaubliche Produktivität und ihr zunehmender Erfolg fanden ein jähes Ende: Nach drei Operationen innerhalb eines Jahres starb sie 1970 im Alter von nur 34 Jahren an einem Hirntumor. Selbst in der Dokumentation ist die Plötzlichkeit ihres Todes bedrückend spürbar. Der Film endet allerdings nicht mit Hesses Tod, sondern mit der Hamburger Ausstellung und dem Verweis darauf, dass sie in Deutschland kaum bekannt ist. Das wird sich mit dieser Dokumentation hoffentlich ändern.
Lukas Heger