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Fauda

10.08.2018 11:29

Regie: Assaf Bernstein; mit Lior Raz, Hisham Suliman; Israel 2015 bis 2018; 2 Staffeln; Netflix

Schminken vorm Theaterspiegel, den grauen Bart schwärzen, die Brille austauschen, die T-Shirts wechseln. Eine Spezialeinheit der israelischen Verteidigungskräfte, die Mista’aravim, bereitet sich auf eine neue verdeckte Operation im besetzten Westjordanland vor. Eine Szene aus der israelischen Serie »Fauda«, deren zweite Staffel derzeit auf Netflix zu sehen ist und sich weiter dem komplexen Innenleben des israelisch-palästinensischen Konflikts nähert. Diesmal mit dem Twist, dass sich der IS in die Region drängt, um die Westbank unter seine Kontrolle zu bringen.

»Fauda« zeigt in bisher 24 Folgen (2019 folgt die dritte Staffel) ein verwickeltes Ringen um Dominanz, eine zerstrittene Hamas und eine kleine israelische Eliteeinheit, die, grob gesagt, Schlimmstes verhindern will. Einige Kritiker bemängeln an »Fauda« die Brutalität und Gewalt, doch liegt das Brutale eher in der Struktur dieses Settings. Hier kämpfen alle, immer, mit allen Mitteln, zu allem bereit.

Der Satellitensender Yes TV, mit etwa 600.000 Abonnenten, übernahm die Produktion der ersten Staffel (2015), die zunächst für den eher kleinen israelischen Markt gedacht war. Den internationalen Erfolg hatten insbesondere die beiden Drehbuchautoren Lior Raz und Avi Issacharoff nicht erwartet. Eine Serie, die palästinensische Hamas-Terroristen in ihren privaten Sorgen und Nöten präsentiert, eine Serie, die zugleich einen Einblick in die düsteren Abgründe der israelischen Verteidigungseinheiten liefert? Es hat funktioniert, und dieser Tage ist der gewichtigste Ausdruck dafür der Einstieg des Streamingriesen Netflix. Der unerwartete Erfolg ist verbunden mit erwartbaren Kritikpunkten. Am wenigsten können die Macher mit dem Einwand anfangen, ihre Serie ergreife Partei für die israelische Seite. Das wäre in etwa so, als würde man »Homeland« vorwerfen, zu sehr aus US-Perspektive zu erzählen, oder den »Sopranos«, die Mafia zu glorifizieren.

Die eingangs beschriebene, regelmäßig wiederkehrende Garderobenszene ist insbesondere mit Blick auf diese Kritik aufschlussreich. Diese Miniatur einer Theatermaske bringt den Zuschnitt der Serie auf den Punkt. Wie schon »Hatufim. In der Hand des Feindes« (2010 bis 2012), die israelische Vorlage für »Homeland«, nutzt »Fauda« als formale Vorgabe und Eingrenzung eine bestechende und sehr eigene Kammerspielästhetik. Es steht eben nicht die Komplexität der politischen Verhältnisse im Kriegs- und Krisengebiet im Vordergrund, sondern die Serie verfolgt die Mikrospuren des sozialen wie emotionalen Alltags des israelischen Militärs, der palästinensischen Fraktionen der Hamas sowie deren beiderseitige Einbettung in familiäre Strukturen. Die brutale Nähe zu den Orten wie Figuren, die beinah schon klaustrophobische Enge vieler Szenen stehen für die auch psychische Verstricktheit der Figuren. No way out, könnte man meinen. Beziehungen zerbrechen, Familien werden auf harte Belastungsproben gestellt. Und über all dem schwebt im Wortsinn der Kontrollraum in Form von Drohnen, die das Geschehen vor Ort aus der Luft beobachten, aber nicht ansatzweise beherrschen können.

Das hat einmal den kuriosen Nebeneffekt, dass man sich schon beim dritten Einsatz des Fünferteams besorgt fragt, ob nicht mindestens Doron (Drehbuchautor Raz in der Hauptrolle) mit seiner gedrungen-glatzköpfigen Erscheinung als Externer auffallen muss, so nachbarschaftlich ist die Szenerie. Es zeigt aber auch: So eng und bedrückend, wie die geografischen Verhältnisse real sind, werden sie auch in Szene gesetzt. Eine Form der Repräsentation, die es erlaubt, die Widersprüchlichkeiten und Deformationen zu zeigen, die der jahrzehntelange Kriegszustand insbesondere bei den an vorderster Front arbeitenden Eliteeinheiten – aber eben auch auf der Gegenseite – hinterlässt, ohne dass das Politische groß zum Thema werden muss. »Fauda« erhebt den Anspruch auf politische Auf- oder auch nur Erklärung gar nicht erst, sondern setzt dieses Wissen voraus.

Die Theatergarderobe steht außerdem für einen Rollenwechsel, der weit über das Erscheinungsbild hinausgeht und für das Tagesgeschäft dieser sehr speziellen Einheit innerhalb des israelischen Militärs charakteristisch ist. Perfektion und professionelles Handeln fordern weit mehr als das Good cop bad cop-Spiel, sie ähneln eher der Strasbergschen Methode, dem völligen Verschmelzen mit der Rolle. In der Maske werden aus den israelischen Elitesoldaten den Anforderungen des Einsatzorts entsprechende Palästinenser: der alte Mann im Kaffeehaus, das junge Paar, der herumlungernde Typ am Straßenrand. Die Souffleuse im Spiel sitzt im Kontrollraum weit entfernt, sie hat den Überblick per Drohne und gibt Anordnungen per Knopf im Ohr. Die Spannung ist fühlbar, doch beim Schminken sitzt jeder Handgriff; so choreografiert wie die Einsätze, so sicher der gegenseitige Feuerschutz, so traumwandlerisch perfekt funktioniert auch das Eintauchen in die andere, die arabische Kultur. Genau diese Zuspitzung macht den Reiz der Serie aus. Sie erlaubt einen doppelten Blick auf den Konflikt und unterläuft die Frontstellung, ohne sie aufzuheben. Verstrickt sind hier alle miteinander.

Dass auch der Titel der Serie auf ein arabisches Wort zurückgreift, ist Programm. Fauda bedeutet Chaos und ist ein Codewort, das die Elitegruppe nutzt, wenn eine ihrer vermeintlich perfekt vorbereiteten Operationen doch schiefgeht. Schuld ist meist menschliches Allzumenschliches, ein nervöses Zucken, das die Tarnung auffliegen lässt, oder das schlichte Durchdrehen unter dem Druck, ein Schuss zuviel oder zu unüberlegt.

Letztlich ist die Theatermaske auch Ausdruck einer traumatisierten Gesellschaft, die mühsam versucht, nach außen, vor ihren Kindern, Vorgesetzten und Anführern, die Fassung zu wahren. Nicht eine Figur in dieser Serie, die nicht auf brutale Weise eine geliebte Person verloren hat. Versteckt unter aller Gewalt und Spannung liegt eine schwere Melancholie. »Lass uns nach Thailand gehen«, heißt es einmal. Weit weg von allem hier. Der Schmerz in den Gesichtern verrät, dass das keine Lösung ist.

Kendra Briken

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