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Freistatt

25.06.2015 14:21

Regie: Marc Brummund; mit Louis Hofmann, Alexander Held; Deutschland 2015 (Salzgeber) ; 104 Minuten; seit 25. Juni im Kino

Gerade sehr angesagt im Kino: Westdeutschland, fiktional, dokumentarisch, kreuzweise. Besser noch: the dark side of the BRD, wo junge Staatsanwälte alte Nazi-Täter jagen (»Im Labyrinth des Schweigens«), eine Generation den Aufbruch probt (»Une jeunesse allemande «) und sich die kreative Boheme schließlich desillusioniert auf der Insel der Glückseligen versammelt, um das Hohelied der Genialen Dilettanten anzustimmen (»BMovie «, »Tod den Hippies. Es lebe der Punk!«). Gleichzeitig konnten renitente Jugendliche von überforderten oder schlicht genervten Eltern mit Hilfe von Jugendämtern in Fürsorgeheime abgeschoben werden, in denen noch lange der Muff von tausend Jahren waberte.

Die kirchliche Fürsorgeanstalt Freistatt, wunderschön gelegen in norddeutscher Moorlandschaft, galt als besonders harte Verwahranstalt, in der die jugendliche Persönlichkeit durch Repression und Zwangsarbeit gebrochen wurde. Gerade erst hat Christian Frosch mit »Von jetzt an kein Zurück« an Freistatt erinnert, jetzt macht Marc Brummund der berüchtigten Verwahranstalt den Prozess in Gestalt eines Genrefilms. Bei Frosch kommt eine Mischung aus Ulrike Meinhofs »Bambule « und Rainer Werner Fassbinder heraus, bei Brummund »Working on a chain gang« mit allem Torture-Porn-Pipapo: sadistische Aufseher, Missbrauch, undurchsichtige Regeln und Machthierarchien, Fluchtversuche, Auflehnung und Widerstand.

Brummund zeichnet nach allen Regeln der Kunst (gute Darsteller, großartige Kameraarbeit, wirkungsvolle Filmmusik, Naturmetaphorik) eine autoritäre Welt, die sich gegen die Liberalisierungen der Zeit abzuschotten weiß.

Leider macht der Film selbst die Genreschotten dicht, interessiert sich nicht für die Geschichte seiner Figuren, was dem sicher bestens recherchierten Stoff märchenhafte Züge verleiht. Da ist der böse Stiefvater, die hilflos-nette, kuchenbackende Mutter, der aufrechte Sohn und sein treuer Gefährte, das afrodeutsche Waisenkind. Da ist der böse Herrenreiter und Hobbygärtner, seine Schlägerkapos und sein keckes Töchterchen, das vielleicht »was mit Politik« studieren will. Und da ist der Soundtrack der Revolte aus dem Radio: »Freedom« singt Richie Havens und »sometimes I feel like a motherless child« in der vaterlosen Gesellschaft.

 

 Ulrich Kriest

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