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Grüße aus Fukushima

08.03.2016 15:09

Regie: Doris Dörrie; mit Rosalie Thomass, Kaori Momoi; Deutschland 2016 (Majestic); 102 Minuten; ab 10. März in den Kinos

 

“Du trägst einen Geist auf deinem Rücken. Jemanden, den du verloren hast.” In Doris Dörries neuem Film lernen zwei sehr unterschiedliche Frauen im Angesicht der Katastrophe voneinander, Haltung zu bewahren - mehr aber auch nicht. 

Die junge Deutsche Marie reist in die Präfektur Fukushima, um als Mitglied der Gruppe Clowns ohne Grenzen die nach wie vor in Wohncontainern hausenden Überlebenden des verheerenden Tsunamis und der anschließenden Dreifachkernschmelze im Atomkraftwerk aufzuheitern. Schnell ernüchtert Marie jedoch aufgrund des offensichtlichen Misserfolges beim ohnehin sehr kleinen und reservierten Publikum, ausschließlich alte Leute, denn die jungen haben das Gebiet längst verlassen. Erst mit der eigenwilligen alten Satomi, der letzten Geisha der Stadt, kann sie sich anfreunden, als sie ihr hilft, in deren Haus im radioaktiven Sperrgebiet zurückzukehren. Dort müssen sich beide ihrer jeweiligen Vergangenheit stellen.

Die zur Esoterik neigende Midlifecrisis-Expertin Dörrie drehte vor Ort mit minimalem technischen und personellen Aufwand, um beweglich zu bleiben und sich und die Laiendarsteller ”in die Realität zu schmuggeln”. Die Idee zum Film sei entstanden, als sie die das Katastrophengebiet besuchte und den Überlebenswillen der noch nach Jahren in Provisorien hausenden Bewohner sah.

Der in Schwarzweiß gedrehte Film ist über weite Strecken ein Kammerspiel im verwüsteten Haus Satomis. Die beiden Frauen bilden dabei ein Gegensatzpaar: Rosalie Thomass verkörpert die naive, vierschrötige Marie, die auf der Flucht vor einer gescheiterten Beziehung die Arbeit im Strahlengebiet als Gelegenheit zur Selbstfindung sieht. Angesichts des tickenden Geigerzählers und der in riesigen Halden aufgetürmten verstrahlten Erde inmitten einer komplett zerstörten Landschaft verflüchtigen sich diese Allüren schon bei der Ankunft und weichen Resignation und Enttäuschung.

Satomi hingegen hat ihre gesamte Existenz verloren. Der Tsunami zerstörte nicht nur ihr Haus, sondern tötete auch ihre Schülerin. Diese sucht beide Frauen als singender Geist in den Nächten heim und konfrontiert sie mit dem unbewältigten Erlebten. Der radioaktive Fallout macht einen Wiederaufbau der Stadt zudem auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Satomi begegnet diesen traumatischen Erlebnissen mit stoischer Disziplin und der Besinnung auf ihre Geisha Tugenden. Mehrmals weist sie Marie barsch als “großes, dummes Mädchen” und “Elefant” zurecht, als diese versucht, sich ihr anzupassen.       

Zu zeigen, wie Idealisten an der Realität scheitern, ist der zunächst interessante Ausgangspunkt des Films. Die Helfer etwa wirken angesichts der Monströsisität der Zerstörungen deplaziert und hilflos. Lange Porträteinstellungen der Gesichter verdeutlichen das Dilemma. Reale Aufnahmen der hereinbrechenden gewaltigen Flutwelle, die die Spielfilmszenen unterbrechen, verstärken den Eindruck. Gäbe es Clowns ohne Grenzen mit ihrem Ansatz “einen Moment der Leichtigkeit” in Krisenregionen zu bringen nicht wirklich, könnte man ihr Erscheinen im Film als gelungene Parodie auf eifernde FSJler mit gutgemeinten Projektideen interpretieren, die vor Ort regelmäßig ihr blaues Wunder erleben.    

Doch diesen Biss entwickelt der Film nicht. Er versickert an dem Anspruch darzulegen, wie zwei Frauen “sich von ihren persönlichen Erinnerungen” befreien und “voneinander lernen“. Die Geister der Toten etwa erinnern in Dörries Inszenierung als bleiche, singende Kinder zunächst an japanische Schocker wie “The Grudge“. Doch sie kommen nicht als unversöhnliche Rächer der Toten, den Lebenden ein Verdrängen der Katastrophe und der persönlichen Schuld unmöglich machen, sondern veranlassen beide Protagonistinnen, ihre jeweiligen Traumata zu beflennen: Hier ein betrogener Exfreund, da eine ausradierte Stadt - letztlich ist alles eine Frage der persönlichen Einstellung.

Der Soundtrack entwickelt sich entsprechend: Unterstreicht er anfänglich die Totalen des Katastrophengebiets mit sparsamen Quinten und Dissonanzen vom Klavier, entwickelt er gegen Ende Harmonien, die es auch auf ein Coldplay-Album schaffen könnten, zumindest auf die B-Seite.  

Hätte der Film seine anfängliche Linie durchgehalten, hätte er eine durchaus subversive Betrachtung des menschlichen Hanges sein können, die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören und das Aufräumen bzw. Laborieren am schlechten Gewissen verpeilten NGOs zu überlassen. Durch seinen versöhnlichen Grundton aber ertränkt der Film jeden gesellschaftskritischen Anspruch in Kitsch.    

 

Johannes Hub

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