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I Origins – Im Auge des Ursprungs

26.09.2014 11:26

Regie: Mike Cahill; mit Michael Pitt, Brit Marling; USA 2014 (Fox); 113 Minuten; seit 25. September im Kino

Um 11:11 Uhr steht Dr. Ian Gray plötzlich vor der Hausnummer elf, während der Bus der Linie elf an der Haltestelle gegenüber hält. Er steigt ein, kauft ein Ticket, es trägt die Nummer elf. Rational betrachtet kann es keinen kausalen Zusammenhang zwischen diesen Elementen einer scheinbar willkürlichen Häufung geben. Gemeinhin wird ein solches Ereignis daher unter der Kategorie Zufall verbucht. Was aber, wenn man, wie die Hauptfigur in Mike Cahills zweitem Film »I Origins«, diesen Verbindungen nachgeht und an ihrem »Ende« etwas schier Unglaubliches findet? Müsste man nicht doch einen Zusammenhang, wenn auch einen akausalen, zwischen den zwei sinnhaft verbundenen Ereignissen vermuten?

So argumentierte C. G. Jung in seinem 1952 erschienenen Aufsatz »Synchronizität als Prinzip akausaler Zusammenhänge« und gab dem unheimlich-vertrauten Phänomen damit seinen Namen: Synchronizität – »ein unerwarteter Inhalt, der sich unmittelbar oder mittelbar auf ein objektives äußeres Ereignis bezieht, koinzidiert mit dem gewöhnlichen psychischen Zustand«. Regisseur und Autor Cahill hat Jungs Text in der Vorbereitung auf »I Origins« höchstwahrscheinlich ausgiebig studiert, denn auch in der eingangs nacherzählten Szene geht es nicht um bloßen Zufall, den man im Filmkontext oft als behäbige narrative Konstruktion wahrnimmt, sondern um sinnhafte Verbindung. Die Elf steht hier nicht für die Zahl an sich, sondern für den Buchstaben I, im Englischen ausgesprochen wie »eye«, das Auge. Ian Gray ist Biologe, sein Forschungsschwerpunkt ist das menschliche Auge, und just ein paar Tage vor dem rätselhaften Ereignis ist ihm eine mysteriöse Schönheit begegnet, die ihm nur ihre Augen zeigte – die Elf führt ihn auf wundersame Weise direkt zu ihr.

Ob man das als überkonstruierte Esoterik oder als clevere Mystery mit Herz empfindet – damit steht und fällt eindeutig das persönliche Filmerlebnis von »I Origins«. Cahill antizipiert die Abneigung, die ihm seine offenherzige Auseinandersetzung mit der Thematik des Zweifelns am Zufall einbringen könnte, und baut sie in die Handlung mit ein. Seine Hauptfigur Gray ist ein faktenversessener Wissenschaftler, der im Labor versucht, eine von Natur aus blinde Insektenart mit künstlich erzeugten Augen sehend zu machen. Die strahlend schöne Sofi hingegen, seine schicksalhafte Begegnung und bald auch Geliebte, glaubt bedingungslos an die Zeichen der Vorsehung, behauptet sogar, sie und Gray müssten sich aus einem vorherigen Leben kennen. Er akzeptiert ihren Aberglauben mit einem Lächeln, zusehends aber steuert die Spannung zwischen den beiden Weltsichten auf eine Katastrophe zu.

Zweifellos wagt sich »I Origins« dabei immer wieder in gefährlich seichte Gewässer und gönnt sich leichte Ausreißer in den romantischen Kitsch. Zum einen federn die hervorragenden Hauptdarsteller diese Tendenz aber ab (darunter Brit Marling, bekannt aus Cahills Debüt), zum anderen lässt sich der Film ohnehin am besten als komplexe Reflexion über die schöpferische Kraft des Filmemachens verstehen. Vor der Kamera wird schließlich ein eigenes Universum entworfen, das den Regeln und Gesetzen des Regisseurs gehorcht – er kontrolliert Zeit, Raum und das Geschick seiner Figuren. Man kann Ian Gray also durchaus in der Tradition jener Filmfiguren sehen, die sich ihrer eigenen Fiktionalität bewusst werden – mit dem Unterschied, dass Cahill diesen Umstand nicht wie in den meisten Fällen humoristisch betrachtet (zuletzt etwa in Marc Fosters »Schräger als Fiktion«), sondern die Sinnsuche seines Protagonisten ernst nimmt.

Gleichzeitig markiert der Regisseur, der mit seinem kühnen Science-Fiction-Werk »Another Earth« bekannt wurde, die von ihm konstruierte Welt eindeutig als eine künstlich geschaffene, reichert er sie doch mit allerlei selbstreferentiellen Gedankenspielen an. Unaufdringlich und wie nebenbei siedelt er »I Origins« in einer nahen Zukunft an, in der jeder Mensch durch das charakteristische Bild seiner Iris identifizierbar und auffindbar ist. Fast scheint es, als habe Grays konservatives Wissenschaftsverständnis, gepaart mit seiner Faszination für das Auge, umgehend eine düstere Zukunft heraufbeschworen.

Die zentrale Stellung des Auges als Motiv und Motor des Plots nutzt Cahill, um unser oft unkritisches Verhältnis zum Filmbild sichtbar zu machen: Die Kamera offeriert als unsichtbares »mechanisches Auge« keine bloße maschinelle Reproduktion der Wirklichkeit, sondern formt erst die Wirklichkeit vor ihrer Linse; ihr »Blickwinkel« ist fundamental entscheidend für unser Verständnis der Filmwelt. Gray hingegen glaubt an das Auge als »Objektiv«, an eine messbare Wahrheit, die größer ist als das subjektive Empfinden. LSD-Entdecker Albert Hofmann hat einmal gesagt: »Wer Naturwissenschaft studiert und dabei nicht zu einem Mystiker wird, ist kein Naturwissenschaftler.« Dr. Ian Gray (nicht nur per fast identischer Namenswahl mit Oscar Wildes Romanfigur Dorian Gray verknüpft) erlebt, als ihm die sinnhafte Verknüpfung seines Lebens plötzlich bewusst wird, den Drang, sein Wissen nicht mehr nur dazu einzusetzen, »Gott zu widerlegen«, sondern folgt mit wachsendem Eifer dem Unglaublichen.

Das bedeutet nicht, dass »I Origins« nun zur religiösen Erweckungsgeschichte wird. Vielmehr leistet der Film einen klugen Beitrag, um die Grenze zwischen einer rein esoterischen und einer strikt rationalen Perspektive aufzuweichen. Ob man nun von einem »Wunder« oder von einem »nicht quantifizierbarem Ereignis« spricht, ist im Grunde egal – Cahill ruft in Erinnerung, dass die Grenzen des Erklärbaren nur ein Busticket entfernt liegen können, und macht aus dieser Erkenntnis eine Liebeserklärung an die inszenatorische Kraft des Kinos.

- Tim Lindemann -


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