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Iraqi Odyssey

24.09.2015 12:11

Regie: Samir; Schweiz u.a. 2014 (NFP/Filmwelt); 90 oder 163 Minuten; ab 24. September im Kino

Hat meine Familie weltpolitische Ambitionen? Regisseur Samir, Schweizer mit irakischem Hintergrund, hat sich dieser Frage gestellt. Die Antwort hat der Anarchist und Schriftsetzer, der als junger Mann in der Lehrlingsbewegung aktiv war, als 3D-Meisterwerk gedreht, wie man es selten, eigentlich noch gar nicht gesehen hat: hundert Jahre irakische Geschichte, dramaturgisch geschickt und mit Einsatz neuester filmischer Animationsverfahren erzählt. Ein knapp drei Stunden langer Film, der es nicht schafft, langweilig zu sein - Samirs Familiensaga, die im November auch bei Limmat als Buch erscheint, ist eine über Generationen tradierte Poetik des Widerstands, mithin die Geschichte der Kommunisten im Irak.

Der Regisseur lässt seine Angehörigen zu Wort kommen; in alle Welt sind sie heute verstreut, weil sie immer in der Opposition waren: Russland, Schweiz, Australien. Die Familie besteht aus Akademikern, Schriftstellerinnen, Schustern – aber egal, was sie heute sind: Sie stehen auf der Seite derer, die die Gesellschaft friedlich weiterentwickeln wollen.

Vorbei zieht der Aufstieg der Baath-Partei, die Entwicklung des arabischen Sozialismus und des Kommunismus, anhand seltener, aber modern wirkender Aufnahmen teils aus den dreißiger Jahren. Die Sowjetunion nahm irgendwann ihre schützende Hand von der Kommunistischen Partei, nach der Kuba-Krise habe man nicht noch eine Front gebraucht.

Es folgen Reichtum und Armut durch den Ölverkauf, der Angriff auf den Irak, die Zerstörung des Landes durch folgende Kriege. Dann durchziehen Bilder von Inhaftierungen, Folterungen und Flucht diesen dokumentarischen Roman. Lange hängen bleibt eine brutale Szene aus den sechziger Jahren: Ein Mann wird von einem Hochhaus geworfen; eine Strafmethode, die heute auch der IS anwendet. Angesichts dieser und anderer Kontinuitäten heißt es im Film in aller Verzweiflung selbstkritisch: „Wann ist uns nur der Bildungsanspruch abhandengekommen?“

2010 reist Samir nach Bagdad, als erstes fährt ihm ein US-Panzer beinahe die Füße ab. So hat sich das keiner vorgestellt. Ruhe findet die Familie nicht in der Diaspora. Vor allem die Jungen wollen zurück ins Land, „um von Anfang an dabei zu sein“. Die letzten Bilder stammen von einem Familientreffen in der Schweiz. Eine Zusammenkunft von Kriegsversehrten.

Jürgen Kiontke

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