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Manuscripts Don't Burn

13.08.2015 14:41

Regie: Mohammad Rasoulof; Iran/Deutschland 2013; 125 Minuten; ab 13. August im Kino

In Michail Bulgakows Roman Der Meister und Margerita entgegnet Voland, der Teufel höchstpersönlich, dem Meister, der ihm mitteilt, er habe das Manuskript verbrannt: »Verzeiht, das glaube ich nicht, das kann nicht sein, denn Manuskripte brennen nicht.«

Es muss schon, wie bei Bulgakow, mit dem Teufel zugehen, wenn das Papier im Ofen kein Feuer fängt. In der Welt der Menschen gibt es die Vorstellung, dass, was einmal ausgesprochen oder gar niedergeschrieben ist, sich, als bloße Idee, nicht mehr aus der Welt schaffen lässt. Den Verzweifelten macht sie Hoffnung, dass sich Wahrheit, im emphatischen Sinne, wider die Übermacht der Verhältnisse verwirklichen werde. Es rette uns ihr höh’res Wesen!

Teheran, Rückblende: Zwei Killer des Regimes bei der Arbeit. Der eine, Khosrow, hat soeben sein wehrloses Opfer ums Leben gebracht. Er flüchtet vom Tatort zum Auto, in dem sein Kollege Morteza wartet. Khosrows Hände greifen um den eigenen Hals, worauf das Blut des Opfers seinen Nacken hinabrinnt, als wäre es das eigene: Du nimmst nicht das Leben eines Menschen und bleibst dabei unversehrt!

Die Kamera fährt mit den staatlich alimentierten Auftragskillern durch die Straßen Teherans, filmt distanzlos die starren Gesichter der Mörder, wir hören ihren sporadischen Dialogen zu: Tag der offenen Tür im Haus des Henkers. Dieser Handlungsstrang des von Mohammad Rasoulof zum Teil im Iran gedrehten Politthrillers »Manuscripts Don’t Burn« ist ein Roadmovie der besonderen Art.

Khosrow und Morteza haben einen Auftrag: Im Kofferraum ihres Autos liegt, gefesselt und in Todesangst, der Dichter Kian. Er soll sterben, wie all die anderen, die von einem fehlgeschlagenen Attentat des Regimes auf einen Bus, in dem 21 todgeweihte iranische Intellektuelle saßen, berichten könnten. Die beiden Killer fahren mit ihrem Opfer gen Norden. Ein ganz normaler Job, zwei Mörder auf Dienstreise – ihre Brutalität verspricht kaum sadistischen Lustgewinn, ihre Ausübung gleicht einem Verwaltungsakt. Auch ins Privatleben gibt Rasoulof Einblick: Khosrow ist geplagt von finanziellen Nöten. Er wartet schon zu lange auf den fälligen Lohn, um seinem schwerkranken Sohn eine Operation zu ermöglichen. Allerdings wird der Killer nicht müde zu betonen, dass er seinen Beruf nicht wegen des Geldes ausüben würde. Sondern? Für Gott?

Schnitt: Wir befinden uns in der Wohnung des iranischen Schriftstellers Forouzandeh. Er ist einer derjenigen, die mit Glück dem Busattentat entkommen konnten; er hält die Kopie eines Manuskripts versteckt, das die Geschichte jenes Mordversuchs erzählt. Es soll veröffentlicht werden.

Forouzandeh und Kian, der bald den Schergen des Regimes in die Hände fallen wird, trinken Wodka, reden über ihre verzweifelte Lage und über das Schicksal der Intellektuellen im Iran. Forouzandeh beklagt sich darüber, dass sein neues Buch an 108 Stellen zensiert wurde. Kian antwortet: »Sag den Behörden, du zensierst dich selbst. Und dann verlangst du das Gehalt des Beamten.« Zum Lachen ist den beiden nicht zumute. Es hätte auch keinen Sinn. Die beklemmende Atmosphäre des Raumes erstickte jede Heiterkeit im Keim. Ihre Versuche, der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen, bleiben hilflos. Jeder ihrer Schritte wird überwacht. Die Nahaufnahmen der kaum beweglichen Kamera verstärken den Eindruck von Enge und Ausweglosigkeit bis an die Grenze des Erträglichen: die eigenen vier Wände – eine Todeszelle.

Rasoulof kreiert Szenen, die den Atem nehmen: Kasra, der eigentliche Verfasser des besagten Manuskripts, zur Kooperation mit den Behörden bereit, wünscht sich nichts sehnlicher, als noch einmal seine Tochter, die im französischen Exil lebt, zu sehen. Er schlägt dem Chef der Zensurbehörde, Kopf der Repression im Kampf gegen die »kulturelle Nato«, einen Deal vor: das Manuskript gegen eine Ausreisegenehmigung. Die Behörde lässt Kasra über ihre Entscheidung im unklaren, bis er es nicht mehr erträgt. Er greift zum Telefon und ruft verzweifelt und ohne eine Nummer gewählt zu haben in den Hörer. Seine Worte gelten den Überwachern. Gebrochen und niedergeschlagen packt Kasra seinen Koffer und macht sich bereit für seine letzte Reise.

Düster, fahl und beklemmend inszeniert Rasoulof die Erfahrungen iranischer Regimekritiker angesichts der allgegenwärtigen Repression. Der Regisseur ist selbst im Jahre 2010 vom iranischen Geheimdienst verhaftet worden. Für die Dreharbeiten zu »Manuscripts Don’t Burn« hat nicht nur er ein hohes Risiko in Kauf genommen. konkret gegenüber betont Rasoulof, er wollte die Außenaufnahmen unbedingt im Iran drehen, um ein »glaubhaftes Bild des Landes« zu vermitteln. Da die Arbeiten heimlich vonstatten gehen mussten, konnte nur eine Fotokamera verwendet werden. Auch die Suche nach professionellem Filmpersonal war schwierig. Es habe fast zwei Jahre gedauert, bis die kleine Filmcrew gefunden war, erzählt Rasoulof. Zu ihrem eigenen Schutz werden im Abspann des Films keine Namen von Darstellern oder an den Dreharbeiten beteiligten Personen eingeblendet (und auch hier nicht genannt). Weil der Film tief in die Lebensrealität im Iran eindringt, trägt er so selbst die Male der Repression, von der er berichtet.

»Manuscripts Don’t Burn« ist ein beeindruckender, erschütternder Film, der seinen realistischen Gehalt aus den persönlichen Erfahrungen der am Filmprojekt Beteiligten bezieht. Viel Hoffnung bleibt nicht; natürlich brennen Manuskripte – doch das gilt auch für die Propagandaschriften des Regimes und die Zentralen der Repression.

Philipp Schmidt

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